Ob die kalifornischen Eltern, die ihre 13 Kinder einsperrten, anketteten, mit Nahrungs-, Entleerungs- und Reinigungsverweigerung misshandelten „nur“ Sadisten waren oder wahnkrank, wollte die im Fernsehen befragte Psychiaterin nicht entscheiden. Gut, dass sie live interviewt wurde – damit konnte vermieden werden, dass ihre Aussagen zu „Sagern“ gekürzt würden. Was wirklich die Motive und Anlässe waren, zeigen ja erst die Begutachtungen …  So sagte der hoch anerkannte und leider tragisch ums Leben gekommene Wiener Sozialpsychiater und Psychoanalytiker Hans Strotzka (1917–1994) einmal in einem Vortrag, „Wenn ich eine übergewichtige Frau verstehen will, muss ich sie analysieren – wenn ich ihr helfen will, schicke ich sie zu den Weight Watchers!“

Aus vielen Analysen kann man allerdings doch meist auch allgemein gültige Schlüsse ziehen. Welche psychiatrische Diagnose (sadistische Persönlichkeit oder irgendeine schizophrene Etikettierung) man daran aufsetzt, hängt mehr vom Blickwinkel der jeweils begutachtenden Person ab, als dass es eine einzige richtige Sichtweise gäbe. Es sind Namensgebungen, Orientierungshilfen, vor allem aber Anknüpfungspunkte für juristische Strafzumessungen.

Ich möchte einen anderen Aspekt einbringen: Den, dass sich viele Menschen berechtigt, ja sogar verpflichtet fühlen, andere zu bestrafen und dabei auf die absonderlichsten, folterähnlichen Variationen kommen. Das kann man natürlich unter Sadismus einordnen – oder aber auch unter Wiederholungszwang („So bin ich auch erzogen worden“, heißt es dann oft mit der Begründung „und es hat mir nicht geschadet!“ – was den Schaden bereits beweist, nämlich die Beschädigung des Mitgefühls oder der Fühlfähigkeit überhaupt!) oder auch unter Hilflosigkeit: Ein Mensch verhält sich nicht so wie erwartet oder erwünscht, und statt ihn oder sie freundlich (nicht streng fordernd!) um das erbetene Verhalten zu ersuchen, wird ohne nach Alternativen zu suchen gleich körperlich gestraft – so wie man das als Kind erfahren hat.

Wenn wir in die österreichische Kriminalgeschichte der vergangenen 20, 30 Jahre zurückblicken, finden sich auch solche Familien, sogar eine als Musterpflegefamilie staatlich ausgezeichnete, bei der man erst Jahre später durch das Outing eines der Pflegekinder erfuhr, wie sehr sie von der grausamen Pflegemutter gequält worden waren (während der sanfte Ehemann hilflos zusah, was keine Entschuldigung darstellt). Ähnlich war es im Fall von „Maria in der Kiste“, in der die Jugendliche eingeschlossen und damit sowohl im körperlichen wie auch geistig-seelischen Wachstum behindert worden war. Dahinter verbirgt sich oft die Angst gehemmter Erwachsenen vor der ungezügelten „Wildheit“ – sprich Lebendigkeit – der Kinder, die um jeden Preis unterbunden werden soll. Häufig findet sich dies bei extrem religiösen Elternpersonen, die fest davon überzeugt sind, das einzig Richtige zu tun, wenn sie „das sündige Fleisch abtöten“. Da reicht es oft schon, wenn ein Zweijähriges sich zwischen die Beine greift – schon werden ihm oder ihr die Hände festgebunden. Wenn man in die europäische Medizingeschichte zurück blickt, finden sich furchterregende mechanische Praktiken von Fesselungen, Durchbohrungen, Verstümmelungen, um Kinder und Jugendliche von sexueller Selbsterkundung abzuhalten.

Manchmal ist es aber nicht einmal die sichtbare sexuelle Lust, die „mit Gewalt“ verhindert bzw. bestraft werden muss – oft ist es schon die Lust am Essen, ja sogar am Kosten und Schmecken, die als gefährlich empfunden wird – weil sie nämlich „Echo-Effekte“ im eigenen Körper-Erleben hervorrufen kann, und die kann man einem / einer ja meist sogar ansehen, wie peinlich.

Es muss also gar nicht der Widerstand gegen ein Gebot oder Verbot sein – es reicht oft das Anrühren an die Angstschranke einer gewalttätigen Person. Potenziell Gewalttätige erkennt man daran, dass sie ein „NEIN“ nicht akzeptieren sondern im Gegenteil daraus das Recht auf Bestrafung ableiten: Meist sind es Männer, die sich berechtigt fühlen, ihre Frauen oder Frauen überhaupt zu bestrafen; bei Frauen hingegen trifft die Strafwut meist Kinder (oder Haustiere). Die traditionelle Benennung „elterliche Gewalt“ – ohne Hinweis auf die Fürsorgepflichten – scheint mir geeignet, dieses Missverstehen zu fördern. Daher schlage ich die Ersetzung durch das Wort „Elternkompetenzen“ vor – zumindest im alltäglichen Sprachgebrauch.