Derzeit sind die Zeitungen voll von Berichten über eine AHS-Lehrerin, der einige Eltern wie auch Schülerinnen einschüchterndes Verhalten und Mobbing vorwerfen (z. B. „Dunkler Sarkasmus im Klassenzimmer?“ Der Standard, 22.03.2019, S. 9). Unter anderem hätte sie „einzelnen Schülern oder Gruppen schon zu Beginn des Schuljahres gesagt, dass sie in ihrem Fach durchfallen werden“.

Das hat mich an meinen Professor in Altgriechisch erinnert, ein kleines unverheiratetes Männchen mit runder Metallbrille in einem zu engen speckigen schwarzen Anzug, der zu Beginn jedes Schuljahres mit folgendem Satz das Podium betrat: „Wie viele seid ihr? 18? hihihi — nächstes Jahr seid ihr nicht mehr so viele!“ Ein Prophet aus Erfahrung. Dramatisch ernst genommen haben wir ihn nicht – wir wussten um die Kontingenz des Schulerfolgs. Das ist heute anders: Wir bekommen immer mehr „amerikanische Zustände“, was bedeutet, dass fast jedes unliebsame Erlebnis zu einem Kampf ausufert und mit Anwaltshilfe und Medienunterstützung zum Sieg führen soll. Was dabei nicht bedacht wird, ist die Resonanz des behaupteten „Psychoterrors“ der Lehrkraft sowie der Domino-Effekt für Nachahmungsinspirierte.

Der gegenständlichen Lehrerin habe schon einmal an einer verpflichtenden Schulung in Sozialkompetenz teilnehmen müssen, lese ich. In meinem Buch „Die Überwindung der Ich-Sucht. Sozialkompetenz & Salutogenese“ (Studienverlag 2009) habe ich Mangel an Sozialkompetenz als Überlebenstechnik, Selbstheilungsversuch oder Machtmissbrauch, Sozialkompetenz hingegen als Haltung von Respekt entschlüsselt. Für diese braucht es aber wie bei allem, was man erst erlernen muss, Vorbilder und Lob während man noch übt. Bei Unterrichtenden fehlt meist beides – das haben mir meine StudentInnen sowohl an der Uni Wien, an der ich jahrelang Didaktik der Gewaltprävention unterrichtete, als auch an der Donau Universität, als ich dort die von mir entwickelte PROvokativpädagogik / PROvokativmethodik (auch dazu gibt es ein Buch von mir) als Masterstudium implementierte, berichtet. Eine dieser Studentinnen gab dazu unbewusst folgendes Beispiel: Bei einem Seminar in meinem eigenen Institut ertappte ich sie, als sie auf einen Sessel stieg um sich von hoch oben einen Stehsammler mit Masterarbeiten von früheren Lehrgängen herab zu holen. Von mir dafür kritisiert, verteidigte sie sich, ich hätte doch gesagt: In allen Räumen, die gelb ausgemalt wären, dürfe man sich frei bewegen. Ich klärte sie daraufhin auf, dass „frei bewegen“ herumgehen, niedersetzen, Geschirr benützen etc., aber nicht Überwindung von Hindernissen beinhalte. Die Lehrerin schrieb übrigens ihre Masterarbeit zu „Achtsamkeit“!

Genau an der mangelt es. Erst gestern musste ich wieder einen Riesenmann (über 1,90 m groß) Ende 40 und Trainer darauf hinweisen, dass es gegen die Höflichkeitsregeln und außerdem gesundheitsschädigend ist, einer kleinen (1,60 m) alten (75) Frau mit der ausgestreckten Hand in die intime Körperdistanz zu fahren. Einzig Thomas Schäfer-Elmayer hält sich immer an die Benimmregel: Die Frau, die ältere Person und die Status-höhere (was ich als Ex-Univ. Prof. auch war, aber das war seinem Vorstellungsvermögen offensichtlich entzogen) reicht die Hand. Bei meinen KlientInnen scherze ich oft: „Wir sind nicht in der Schule – Sie müssen mir nicht das ,schöne Handi‘ geben!“ In anderen Kulturkreisen ist das Handgeben ohnedies unüblich, dort, wo auf diese Dominanzspiele verzichtet wird. Aber je eindringlicher man als Kind gezwungen wurde, kaltnasse und verschwitzte Hände ergreifen zu müssen, desto mehr wird diese Form der Unterwerfung verteidigt. Gesundheitsfördernd ist beides nicht.