Ein 27jähriger befindet sich in Untersuchungshaft, nachdem er wegen sexueller und sadistischer Untaten an männlichen Jugendlichen angezeigt worden war – und hinsichtlich der Foltertaten auch ein jüngerer Komplize. (KURIER, 17.11.2020, Seite 16.) 52 Fälle seit 2014 konnten ermittelt werden, wird berichtet, von Kontaktaufnahmen über Messengerdienste und soziale Medien, und dass der Täter ein erfolgreicher Nachwuchssportler sei. Mehr von den regionalen Details lasse ich weg – es werden in seiner Umgebung ohnedies schon viele wissen, um wen es sich handelt. Und genau das irritiert: Wieso brauchte es über fünf Jahre, bis jemand misstrauisch wurde – vor allem, dass der Täter sich selbst darüber täuschen konnte, dass er ein massives Sexualproblem hat und zum Serien-Verbrecher geworden ist?

Denn gerade in den Berufs- und Aktivitätsfeldern, die Kontakte zur Zielgruppe bieten, tummeln sich diejenigen, die ihre sexuellen Interessen verdunkeln wollen.

Im linearen – juristischen – Denken geht man davon aus, dass die Bekanntgabe der (zivil- oder strafrechtlichen) Folgen ausreiche, dass die „Normadressaten“ – das sind wir alle – Verbote einhalten. Generalprävention heißt das. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich die einen für so schlau halten, dass man sie nicht ertappt, und andere sich ganz im Recht fühlen („Ich kann ja nichts dafür – ich bin halt so!“ oder „Ich weiß besser, was richtig ist!“). Außerdem wird der Gedanke abgewehrt, dass das eigene Verhalten andere schädigt – und zwar nicht nur körperliche Zugriffe sondern bereits verbale Zudringlichkeit. „Das muss dir doch gut tun!“ befand einmal ein Ehemann in der Paarberatung, der nicht akzeptieren wollte, dass seine Partnerin anders empfand als er; er hielt sich für das „Maß aller Dinge“ – und das ist ein Kennzeichen von Gewalttätigkeit.

Sexuelle Erregung kann Unvorbereitete, Unwissende (und dazu zählen auch Neugierige) „lähmen“. Der renommierte Wiener Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt (1928–2018) zeigte die menschlichen Parallelen zu dieser „Deckungsstarre“ bei Tieren in seinem Buch „Der Mensch – das riskierte Wesen“ (Seite 80): Es wirkt der Geruchsstoff Androstenol.

Viele KlientInnen berichten, das Ärgste bei sexuellen Ausbeutungshandlungen bestehe darin, wenn einem der eigene Körper nicht mehr gehorche – wenn man wisse und fühle, dass man bestimmte Handlungen, auch die Person nicht wolle, aber der Körper dem eigenen Wollen / Nichtwollen nicht folge, und der Täter dann triumphiere „Das gefällt dir doch!“ Und weil man von diesen möglichen Reaktionen nicht gewusst hat, schämt man sich … und deswegen schreibe ich das hier, damit diejenigen, die das aus ihrer Biographie kennen, sich vom Sünden-Oktroy „In Gedanken, Worten, Taten“ befreien können.

Der „freie Wille“ braucht die Zeit der Selbsterforschung (aber auch Schnelligkeit möglicher Abwehrhandlungen benötigt Training, daher auch wieder Zeit!). Deswegen sprechen wir in der Salutogenese (Gesundheitsförderung) heute von „sexueller Selbstbestimmung“ – frei von irgendwelchen vorgegebenen Pflichten oder Rechten (vor allem dem „Recht des Stärkeren“), die nur „schiefe“ Machtverhältnisse widerspiegeln.

Beziehungen zwischen „Mächtigeren“ und (eben auch finanziell) „Machtärmeren“ wie Kindern und Jugendlichen sind von vornherein „schief“ und unterliegen daher etlichen gesetzlichen Schutzbestimmungen. (Geldmangel ist auch ein Scham- und Tabuthema und gehört daher enttabuisiert und offen angesprochen!) Manchmal schützen sie dort, wo kein Schutz gewünscht wird – wenn Verliebtheit oder Begehren die Altersgrenzen überspringen will. Aber genau dann ist die Fürsorglichkeit der mächtigeren Person gefordert: Wenn einem der oder die Andere wirklich wichtig ist – und nicht nur Objekt zur eigenen Befriedigung – gilt es zu warten, ob die sexuellen Phantasien den Zeitlauf überleben.