Manche sagen, der Muttertag gehört endlich abgeschafft, er sei nicht mehr zeitgemäß, weil wir ja seit den späten 1970er Jahren im Zeitalter der Elternpartnerschaft leben – und er außerdem nur dem Geschäft mit Blumen und Bonbonieren dient.

Und außerdem: Was nützt schon verlogenes Gedenken und Ehrungen, wenn nach wie vor Männer die Mütter ihrer Kinder misshandeln und ermorden – und die Männer, die das nicht tun, dazu wegschauen und schweigen?

Ich habe in meinem Eröffnungsvortrag zur Aufführung von „Stabat mater“ von Antonio Vivaldi (1678–1741) am Karfreitag, 15.04.2022, im Auditorium Grafenegg einen anderen Gedenk-Blickwinkel als den der um den gekreuzigten Sohn trauernden Mutter Maria gewählt – nämlich den der Mütter, die ihre Söhne nicht von ihren Berufungen abhalten können. (siehe Redekonzept zu –> „Den Schmerz ertragen“)

Meist so um das Alter zwischen 15 und 25, wenn sich der Nachwuchs kritisch mit der Lebensweise der Eltern und sonstigen Nächsten auseinandersetzt – und oft sehr weit auseinander – werden die Grenzen zwischen dem Alten und dem Neuen sichtbar. Das allein macht vielen schon Angst.

Manchmal steht das Neue aber im Gegensatz zu dem, was die alten Mächtigen gesetzlich oder moralisch vorgeschrieben hatten, und oft bedeutet das die Gefahr, bei Demonstrationen verprügelt, verletzt, verhaftet, verschleppt und vernichtet zu werden. Wir brauchen nicht nach Südamerika zu schauen, nach China oder Russland oder den Nahen Osten etc. oder den aktuellen Kriegsschauplatz Russland gegen Ukraine: Überall fürchten Mütter um das Leben ihrer Kinder, egal ob sich diese aus freiem Willen oder gezwungen in der „Schusslinie“ befinden.

In Chile, in den 1970er Jahren, ist mir in Erinnerung, haben sich die Mütter der verschwundenen Söhne zum Protest organisiert. Heute müssten es wohl die Mütter der ganzen Welt tun – aber wer fängt an? Und wo?

Fast jede psychisch gesunde Mutter ängstigt sich um ihr Kind, wenn es mit der Staatsgewalt in Konflikt kommt (und in den USA auch ohne solch einen Konflikt, wenn es keine weiße Hautfarbe hat und einem Cop gerade an einer Machtdemonstration oder Einschüchterung begegnet), und die meisten versuchen, ihre Kinder von deren Gewissensentscheidungen (oder auch nur Gruppentreue) abzuhalten. Meist vergebens.

Auch Maria, die Mutter Jesu, hat es zumindest einmal versucht – aber dann doch aufgegeben (Mt 12, 47 – 50).

Ertragen, dass das erwachsene Kind seinen eigenen Lebensweg geht und zulassen, dass es ihn auch gehen darf, selbst wenn er in den Tod führt, ist wohl ein Anstoßen an den eigenen Tod. Das wissen auch alle Mütter von „Sternenkindern“.

Dieser Verzicht auf gewalttätiges Verhindern der Verwirklichung der Lebensziele der eigenen Kinder ist aber auch das Zeichen von höchstem Respekt vor deren Persönlichkeit.

Ein respektvoller Dialog sollte zur möglichen Korrektur – oder Selbstbestätigung – genügen. Und manchmal führt dieser Versuch ins Leere.

Wer mit Mediation Erfahrung hat, weiß: Wenn eine Streitpartei nicht will, ist Dialog sinnlos. Dann hilft nur mehr, sich mit den verfügbaren Ressourcen gegen Gewalt zu schützen. Dazu zählt auch, bloß „das Weite zu suchen“. Und die eigene Machtlosigkeit zu ertragen. (Was nicht heißt, dass man nicht weiter nach kreativen Problemlösungen sucht.)

Gesetze und andere Merkmale der jeweiligen „Kultur“ verändern sich im Zeitlauf (manchmal auch nur von Wahlgang zu Wahlgang). Und genau deswegen sollten wir alle dagegen protestieren, wenn Andersdenkende („Dissidenten“) mit Waffengewalt oder auch anderswie tot gemacht werden – und das beginnt mit mundtot.