Wenn das Johannes-Evangelium mit „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“ beginnt und in weiterer Folge mit „Alles ist durch das Wort geworden / und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“ (Einheitsübersetzung) fortsetzt, so nehmen das viele Leser:innen wörtlich und vermeiden damit alles Nachdenken und Nachfühlen, was damit vermittelt werden sollte – so wie es Goethes Faust vormacht, wenn er nachsinnt, was mit dem ursprünglichen – griechischen – Wort „logos“ gemeint ist. Faust schwankt zwischen „Sinn“, „Kraft“ und wählt zuletzt „Tat“.

Logos umfasst das alles. Ich selbst würde logos als die „zielgerichtete Energie, mit der etwas sinn-lich Wahrgenommenem – daher auch Erspürtem oder voraus Erahntem – mittels einer Namensgebung Da-Sein verschafft wird“ übersetzen.

Was keinen Namen hat, wird zwar vielleicht erlebt, aber nicht bewusst, weil man es – noch – nicht kommunizieren kann, auch sich selbst nicht. (Es gibt ja auch den sogenannten „inneren Dialog“.)

Indem man etwas benennt, wird es aus der unidentifizierten Masse des Unbenannten herausgehoben – und umgekehrt (vgl. die Sprech-Tabus!). Von dem deutsch-britischen Soziologen Norbert Elias (1897–1990) stammt die Erkenntnis „Gib einer Gruppe einen schlechten Namen und sie wird ihm nachkommen“ („Etablierte und Außenseiter, Suhrkamp 1990, S. 24). Deswegen ist es besonders perfide, jemand durch abwertende Eigenschaftswörter Kompetenz abzusprechen – ich erinnere mich z. B. an „die ,wohlondulierte‘ Maggie Thatcher“.)

Deswegen besteht die Kunst der Psychotherapie ja auch darin, solche negativen „Zuschreibungen“ zu verändern, „Giftiges“ zu entfernen oder Fehlendes zu ergänzen. So wie der „gute alte Hausarzt“ fragte: „Was haben Sie denn?“ oder „Was fehlt Ihnen?“

Zum Beispiel fehlt Wissen über die Macht der Namensgebung – und da meine ich nicht nur das Geheimnis der Taufe. Ich meine vor allem das Konstruieren von „Memen“ – geistigen Inhalten und damit auch Bewertungen. Denken wir nur an Neuwortschöpfungen wie Mobbing (jemand gezielt krank machen und vertreiben), Stalking (jemand permanent verfolgen) oder umgekehrt Salutogenese (alles was zur Gesundung führt) oder Wellness (gezielt Wohlbefinden inszenieren). Ich habe jetzt bewusst zwei Negativbezeichnungen und zwei Positivbezeichnungen gewählt – aber meist werden solche „Namen“ erst durch beigefügte Eigenschaftswörter unbewusst, oft aber auch sehr bewusst, negativ oder positiv bewertet. Trifft „ein schlechter Name“ eine Person, wird sie als gestört, krank, kriminell, dumm – jedenfalls aber einem selbst unterlegen „definiert“ – und alle, die diese Überheblichkeitstechnik aufzeigen, trifft meist das gleiche Schicksal.

Derzeit trifft es diejenigen, die aufzeigen, dass im sogenannten „zivilisierten“ Sprachgebrauch andere Unterschiedsbezeichnungen etwa mittels Geschlechtsdifferenzierung geheime „Beliefs“ (d. h. „Glaubenssätze“, „Mythen“) mit sich führen: als Mann – Vorurteil: stark, edel und gut, Frau – Vorurteil: schwach und verführerisch, und bei weder noch (oder aber sowohl als auch) – Vorurteil: missraten, fehlerhaft.

In meinem Buch „Sein wie Gott – von der Macht der Heiler“ (Kösel, 2002) habe ich aufgezeigt, dass Schaman:innen, die einst die heilenden, lehrenden, darstellenden-singenden-tanzenden, urteilenden und spirituellen Berufe in sich vereinigten, immer jenseits der Alltagsgeschlechtlichkeit lebten (z. B. der antike „Seher“ Teiresias das halbe Leben als Mann, die andere Lebenshälfte als Frau) und hoch angesehen waren. Und: Sie gaben sich nach ihrer „Berufung“ immer neue Namen. Wen geht die Geschlechtlichkeit eines anderen Menschen etwas an – außer bei persönlichem Interesse an einer Beziehung? Oder Nicht-Beziehung – z. B. bei der Benützung von Toiletten! (Und für den „Dienst“ bei Bundesheer und Polizei zählt heute bei uns als „Norm“ nur mehr die individuelle Leistung.)

Wenn heutzutage die Gestaltung des künftigen Ethikunterrichts diskutiert wird, sollte dieser vor allem auch Kulturanthropologie und Soziologie umfassen, vor allem aber auch die Entstehung von „Normen“ bzw. Vorurteilen und deren Historie thematisieren – und die Neigung, Menschen nach Kategorien und Quantitäten einzuteilen; Mann-Frau-Kategorie gehört auch dazu – eine Form von Kriegs-Vorbereitungs-Denke: Wer soll welche Aufgaben übernehmen. Und: Wer darf anschaffen.

Nur weil etwas lange Tradition aufweist, heißt es noch lange nicht, dass es richtig im Sinn von „Erfordernissen angepasst“ ist. Die US-amerikanische Soziologieprofessorin Nancy Chodorow betont: „Manchmal zeigen sich in Statistiken innerhalb eines Geschlechts größere Unterschiede als zwischen Mann und Frau.“ Und „Aus den verschiedenen Möglichkeiten und Ausprägungen macht nun die Gesellschaft zwei – und nur zwei – soziale Geschlechtsformen.“ Auf Grund von (optischen) „Vermutungen“ werden Neugeborene einem biologischen Geschlecht zugeordnet. („Das Erbe der Mütter“, S. 26)

Tatsächlich sind seit langem schon sieben Haupt-Kriterien festgelegt (innere und äußere Genitalien, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Chromosomen, Keimdrüsen, Hormonstatus, sowie die psychische und soziale Geschlechtseinordnung), die eine ein-deutige Zuordnung gestatten … oder eben nicht. (Pschyrembel Online | Geschlecht) Und das ist Intimbereich! Und der, finde ich, gehört respektiert.