In meinem letzten „Brief gegen Gewalt“ Nr. 79 habe ich betont, dass freie Berufe besonders gefährdet sind, aus Konkurrenzgründen gewalttätig zu werden und habe Angehörige von Heilerberufen – Ärzteschaft wie auch Angehörige von Psycho-Berufen und „religiöse Experten“ (so wären PfarrerInnen und deren Kollegenschaft aus anderen Religionen korrekt zu bezeichnen, wurde uns in den religionswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen im Fachstudium der evangelischen Theologie vermittelt) – nicht ausgenommen: Gerade sie „beweisen“ im Umgang mit „KollegInnen“ ihre Qualifikation, die Patientin „Gesellschaft“ zu heilen.

In meinem Buch „Sein wie Gott – Von der Macht der Heiler. Priester, Psychotherapeuten, Politiker“ aus 2002 (bei Kösel, München – vergriffen, Restexemplare können bei mir s. u. bestellt werden) habe ich beschrieben, wie im Ursprungsberuf des Schamanen (die „weise Frau“ inbegriffen) noch – alphabetisch geordnet – die Kompetenzen als Arzt, Heiler, Konfliktregler, Lehrer, Priester, Psychologe, Psychotherapeut, Richter, Sänger, Schauspieler (und manchmal sogar Lenker des Gemeinwesens)  in einer Person vereinigt waren. Und dann habe ich den Schweizer Volksschullehrer und Psychoanalytiker Hans Zulliger (1893–1965) zitiert, der in „Der Fluch des Pädagogen“ aufgezeigt hat, wie sich im Laufe der Zeit all diese Berufe voneinander getrennt haben und in der Gesellschaftshierarchie hoch aufgestiegen sind – nur der Lehrer sei quasi als „lächerliche Figur“ an der Basis „hängen geblieben“. Dabei sei dieser aber der wichtigste … Wohl kaum verwunderlich wenn man berücksichtigt, wie konfliktträchtig dieser Beruf ist …

Derzeit ist beobachtbar, wie diese Berufe wieder zur Vereinigung hin tendieren (zeigt ja auch mein Entwicklungsweg, nachverfolgbar auf meiner Homepage) – und hoffentlich auch zu gegenseitiger Wertschätzung.

Nun bin ich zwar von meiner psychotherapeutischen Zusatzbezeichnung eine Freudianische Psychoanalytikerin, habe aber postgradual u. a. auch eine personzentrierte Ausbildung absolviert. Die „Drei Rogers-Kriterien“ als Anforderungen ihres Gründers Carl R. Rogers (1902–1987) an Charakter und Verhalten von „Helfern“ sind und sollten Standard sein: Bedingungslose Akzeptanz – das  bedeutet, nicht zu bewerten, auch nicht positiv, weil das manipulativ wirken kann; Empathie – das bedeutet so hohe Einfühlung, dass man die berichteten Ereignisse quasi aus den Augen des anderen sieht UND spürt; und Kongruenz – das bedeutet Echtheit, also authentische Wahrhaftigkeit (was in Konflikt zur Akzeptanz geraten kann – beispielsweise in der Arbeit mit Sexualstraftätern – und daher innerseelisch gelöst werden muss, sonst müsste man aus Befangenheit ablehnen).

Der Volksmund scherzt oft, der Tischler säße auf Bananenkisten, die Schneiderin habe nichts Gescheites anzuziehen und „Lehrers Kinder – Pfarrers Vieh – gedeihen selten oder nie“ … und genau deswegen sollten „Heiler“ (s. mein Buchtitel oben) und auch diejenigen, die „die Gesellschaft heilen wollen“, besonders aufpassen, dass sie die drei Rogers-Kriterien erfüllen und andere Wege der Konfliktbewältigung finden bzw. vorleben als Abwertungen, Häme, Spott und andere psychologische Kampfhandlungen – auch wenn sie dafür (wegen „Norm-Abweichung“) attackiert werden.