Wenn man an den Beginn der Arbeiterbewegung zurückdenkt, war der gemeinsame Marsch die wohl wichtigste Demonstration des „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ (Georg Herwegh) mit dem Beweis, wie viele Arme (im Doppelsinn des Wortes!) dahinter stünden. Ein Streik in einem Betrieb konnte das nicht.

Seit damals ist mehr als ein Jahrhundert vergangen und viele Demonstrationsmöglichkeiten auf und in vielen Orten sind dazu gekommen:

  • Einerseits die vielen öffentlichen Medien – die vor allem dort unverzichtbar sind, wo undemokratische Staaten jede gegensätzliche Meinungsäußerung verbieten. Ich habe als gerade-noch-nicht-Ehefrau eines ORF-Journalisten (geheiratet haben wir erst im Oktober) das Abwürgen des Prager Frühlings im August 1968 hautnah miterlebt, und all die Bemühungen seiner Freunde, Nachrichten aus der so plötzlich zur Stummheit gezwungenen Medienwelt in den „freien Westen“ zu schmuggeln.
  • Andererseits die elektronischen Medien, mittels derer jedermensch sein oder ihr eigenes Filmteam darstellen und vermarkten kann – in einer Demokratie.

Die Geschichte wiederholt sich, egal ob in Ost, Nahost oder Fernost, Afrika oder Südamerika … und ja, auch in Ländern, die als Mutterstaaten der Demokratie gelten. Und die einen kämpfen um das, was sie – zu Recht oder Unrecht – für Meinungsfreiheit halten und kämpfen damit manchmal um Inhalte, die sie mangels Kenntnissen oder Methodiken gar nicht auf ihren Tatsacheninhalt überprüfen können. Damit meine ich: Es ist ein Unterschied, ob man für Inhaltswahrheit kämpft – oder für Respekt für die eigenen Sichtweisen, wie unhaltbar diese bei korrekter Überprüfung auch sein mögen, und es ist drittens ein Unterschied, ob man mit Waffen „kämpft“ wie in einem Krieg, mit Radau, Drohungen, Terror, Übergriffen, Gewalt etc. oder einfach um seinen Frust loszuwerden, oder ob man selbst Respekt demonstriert, indem man in einer vernunftgesteuerten Diskussion mit Argumenten „kämpft“ wie in einem sportlich-fairen Wettkampf, und mit Regeln. Und ob man sich, wenn man sich der Sprache nicht „mächtig“ genug weiß, kundige Vertretung sucht. Repräsentative Demokratie heißt das.

Massenaufmärsche halte ich deswegen für bedenklich, weil sie jenseits aller ernsthaften Auseinandersetzung um Rechte und Pflichten für viele nur eine Art Abwechslung zum Wutablassen mit oder ohne Johlen bedeuten, wenn Sportveranstaltungen und Stammtischtreffen abgesagt sind.

Damit ich nicht missverstanden werde: Als eine, die in den 1960/70/80er Jahren selbst alte und neue Wege der Demonstration politischer Bestrebungen gelebt hat, unterstütze ich das Recht, alternative Formen auszuprobieren – sofern damit nicht höhere Güter und Werte gefährdet werden. Diese klar zu formulieren, ist für mich eine Forderung an die gesetzgebenden wie auch ausführenden Gremien. Lautstark demonstrieren vor Spitälern aber ist ein No Go! (Vor Palästen von Versicherungsanstalten hingegen weniger.)

Es gehören Bannmeilen definiert – nicht nur vor Parlaments- und staatlichen Verwaltungsgebäuden (und dabei denke ich nicht nur an den Schutz der Mandatare und Mitarbeiterschaft, sondern auch an unser aller Akten und Daten), auch vor Schulen, Kindergärten, Arztpraxen, Feuerwehr, Rettung … also Einrichtungen, die für Gesundheit von uns allen, und dazu gehört auch die Sicherung der sozialen Existenz, unabdingbar sind.

Denn wir alle sind das Volk, nicht nur einzelne Dissidenten!