Zu den sexuellen Mythen gehört auch die Phantasie, dass sich Homosexualität an einem bestimmten Aussehen oder Verhalten erkennen ließe.

Am 17. August 2018 war in der Tagesberichterstattung zu lesen, dass einem afghanischen Asylwerber der Aufenthaltstitel verweigert wurde, weil er nicht dem geistigen Klischee des beurteilenden Beamten entsprach: Der junge Mann wäre weder an „Gang, Gehabe und Bekleidung“ als schwul zu erkennen gewesen. Offensichtlich hatte dieser sich am Revuestar Albin aus dem Film Ein Käfig voller Narren orientiert. À propos Film: Ich erinnere mich noch, wie enttäuscht die weiblichen Fans waren, als sich im Zuge von deren Aids-Erkrankung herausstellte, dass Rock Hudson (1925–1985) – filmischer Dauerliebhaber von Doris Day – schwul war oder auch Anthony Perkins (1932–1992). Sie folgten dem Mythos, wenn ein Mann mit einer Frau verheiratet war, müsse er logischerweise heterosexuell sein.

Wieder zeigt sich deutlich die Notwendigkeit interdisziplinärer sexuologischer Schulungen für Beamt*innen, die über das Leben anderer Menschen entscheiden – im konkreten Fall über Leben und Tod, denn es gibt eben Länder, in denen homosexuelle Männer mit der Todesstrafe bedroht sind.

Strafbarkeit und damit Verbot dieser sexuellen Orientierung gründet immer auf einem staatlich verordneten Zwangsrollenbild von Männlichkeit – Betonung auf Zwang, denn wie sich ein kleine Bub im Laufe seines Lebens entwickelt, hängt von seinen Vorbildern, seinen Identifizierungen, seinen biographischen Erlebnissen und vor allem auch davon ab, in wen er sich verliebt, und das kann sich im Laufe des Lebens ändern. Ich denke dabei etwa an einen Klienten, Direktor einer internationalen Bank, der nach über 20jähriger Ehe und zwei erwachsenen Sprösslingen seine Familie verließ, denn es hatte ihn eine so große Liebe – und eben zu einem Mann – ergriffen, dass er sich entschloss, ab nun sein Leben mit diesem zu teilen. Er kam in Beratung wegen der Konkurrenzkämpfe in seiner Firma – sein Privatleben hatte sich bereits geordnet gehabt, und außerhalb „ging“ es ja auch niemand „an“ (im Doppelsinn des Wortes: der zitierte Beamte hätte auch ihm die homosexuelle Orientierung abgesprochen).

Zu den Zwangsrollenbildern von Männlichkeit verstehe ich vor allem quasi-militaristische, wie sie beispielsweise in heroisierenden Kriegs-, Action- oder Wildwestfilmen verbreitet (und in kriegsführenden Nationen finanziell gefördert) werden. Homophobe Menschen, vor allem männliche, verspotten Schwule, weil sie in ihrer Phantasie äußerlich dieser Macho-Stereotype nicht entsprechen. Sie sollten sich die Grafiken von Tom of Finland ansehen! Dann wüssten sie vielleicht: Es ist nicht Aussehen oder Kleidung, sondern die nonverbale Botschaft von Erotik, Anmache oder auch Zärtlichkeit, die viele Männer in ihrer Geschlechtsidentität verunsichert, wenn sie von einem Mann kommt – besonders dann, wenn sie sie einmal spontan zugelassen haben.