Er werde im Kreise seiner Nächsten bedrängt, sich im Fall des Russland-Ukraine-Krieges für eine Seite zu deklarieren, kritisiert einer meiner Klienten, der sich für in seinem Berufsbereich arbeitende Menschen und ihre Angehörigen in den Kriegsgebieten verantwortlich fühlt und sich zur Meinungsbildung nicht allein auf Medienberichte verlassen will. Er wartet zuerst auf Rückmeldungen von betroffenen Kooperationspartnern.

Ich habe ihn darin bestärkt, sich nicht „zwingen“ zu lassen, „Partei zu ergreifen“ – denn genau dadurch vergrößern und verhärten sich „Fronten“. Das ist ähnlich wie bei Fußballspielen, wo bei passender Gelegenheit die Emotionsfunken gewaltbereiter Fans überspringen und plötzlich alle Vernunft verschwindet und nur mehr brutal attackiert wird – bis die Polizei eingreift (falls die nicht auch handlungsunfähig geschlagen wird).

Im Angesicht eines Atomkrieges gibt es aber keine Weltpolizei, keine Action Helden und keine Siegermächte. Die gibt es nur in Science Fiction Filmen – und die kann man wiederum als „Werbung“ für eine Phantasiewelt technischer Überlegenheit (des Landes aus dem sie stammen) enttarnen, so wie auch die James Bond- und andere Agentenfilme. Allerdings: Dank der bildgebenden Verfahren in der Gehirnforschung wissen wir seit Mitte der 1990er Jahre, dass allein durch Zusehen und „Mitfiebern“, d. h. Identifikation mit einem der Filmhelden, die gleichen Gehirnpartien aktiviert werden wie bei der beobachteten Person – quasi ein Mentaltraining. Auf diese Weise können Neurosignaturen als geistiges (oder ungeistiges) Repertoire für derart getriggerte Verhaltensweisen geprägt werden. In Situationen, in denen ein Trigger (Auslösereiz, das kann etwa Gesehenes, Gehörtes, Gespürtes oder Gefühltes aber sogar Gerochenes oder Geschmecktes sein) auftritt, wird dann spontan (unbewusst) das eingespeicherte Handlungsmuster ausgelöst. (Es kann aber auch bewusst eintrainiert werden – wie in militärischen oder paramilitärischen Ausbildungen.) Viele kennen das von nachtdunklen Riesengaragen, in denen nur abschnittsweise Licht angeht … So kann Angst getriggert werden – oder Angriffslust.

Dieses Wissen gehört bereits in der Schule vermittelt!

Die geistige Basis jeder Kampfvorbereitung ist der Aufbau von Feindbildern, meist mit Demütigungs- oder Siegesgegröhle. Mir fallen dazu die Kampfparolen aus dem Ersten Weltkrieg ein, die der bissige Kulturkritiker Karl Kraus (1874–1936) in seinem Monumentaltheaterstück „Die letzten Tage der Menschheit“ verewigt hat: „Serbien muss sterbien“, „Jeder Russ ein Schuss!“ „Jeder Franzos – an Stoß!“ „Jeder Britt – an Tritt!“ (Pegasus Verlag, Zürich 1945, S. 56 ff.).

Im „manichäischen“ Denken (Manichäismus – Wikipedia) in Gut und Böse, Hell und Dunkel und was es an dualen Gegensätzen alles gibt, wird alles dem „entweder – oder“ zugeteilt und bejubelt oder verdammt – und dritte oder vierte oder weitere Lösungsmöglichkeiten werden ausgeblendet und gar nicht gesucht. Eskalation ist eine Vorgehensweise, die jeweils bevorzugte Position zu verstärken, egal womit, „nur“ Fake News oder Drohungen, Strafverfahren oder Terror und Krieg.

Mit Empörung zu reagieren ist genau das Verhalten, das die Spaltung vergröbert und versteinert – und genau das wird ja auch von den „geheimen Drahtziehern“ – die gar nicht so geheim sind – beabsichtigt. Deswegen ist es wichtig, sich davon freizuhalten, und das fängt bereits bei leidigen Impfdebatte an – oder bei der Eskalations-Rhetorik von Oppositionsparteien.

Um das zu erkennen und aufs Mit-Matchen zu verzichten, brauchen wir wohl alle ein Deeskalationstraining, zumindest aber Vor-Bilder.