Wenn man offensichtlich Gewalttaten in ihrer Entstehungsgeschichte zurück verfolgt, gelangt man immer zu einer Situation, in der sich der spätere Gewalttäter – kann auch eine Frau sein – jemand oder etwas anderem unterlegen fühlt und mit einer Kraftdemonstration versucht, vor anwesendem oder phantasiertem Publikum (deswegen derzeit die Veröffentlichungen auf Facebook, Instagram oder Youtube etc.) seinem erwünschten Selbstbild von Macht zu entsprechen. Die primitivste Form dazu ist körperlicher Angriff, um die andere Person klein zu machen – was vor allem in einer Gruppe meist nicht schwer ist. Deswegen treten Personen, die so etwas beabsichtigen, ja gerne als „Block“ auf, schreien „mit einer Stimme“ oder agieren als Einheit auf Kommando.

Der Mechanismus, unerwünschte Konkurrenz tot – egal ob mundtot, sozial tot oder physisch tot – zu machen, soll zur Allein-Herrschaft führen. Und allein bleibt man schlussendlich dann ja auch … Die Alternative, zu teilen und sich daher mitzuteilen und Konflikte im Gespräch zu einer neuen, besseren, humaneren Umgangsform des Miteinander zu vereinbaren (da steckt auch die Silbe „ein“ drinnen!), braucht die Fähigkeit, Streitpunkte zu erkennen, zu benennen und sich mit Geduld sprachlich auszutauschen, kurz gesagt: Vernunft. Da wir alles, was wir „können“ von Vorbildern abschauen (und eventuell bei entsprechender Begabung weiter entwickeln), braucht es dazu Modelle – und die fehlen.

Wenn wir also in den letzten Tagen gehäuft Meldungen über Prügelorgien und Messerangriffe zu lesen bekamen, fällt auf, dass in einem einzigen Fall Passanten reagiert und geschrien haben, „Hör auf! Du bringst den ja um!“ Es handelte sich bei den konkreten Angreifern und Angegriffenen um Jugendliche – sogar noch nicht Strafmündige. Ob sie bei Erwachsenen mit Bodybuilder-Statur auch diesen Mut aufgebracht hätten, bleibt zu bezweifeln. Denn auch „Zeugen“ brauchen Modelle, wie man sich in solchen Situationen anders verhalten kann, als nur wie üblich wegzuschauen (wenn man sich im gedanklichen Vergleich des Kräfteabschätzens als Unterlegene erkennt).

Ich habe zwischenzeitlich einige meiner „Briefe gegen Gewalt“ nur auf www.haltgewalt.at stellen lassen und nicht an die AbonnentInnen ausgesendet. Das hat abgesehen von augenblicklicher Arbeitsüberlastung und abzuarbeitendem Rückstand damit zu tun, dass mit der Vorwurf gemacht wurde, ich würde „zu viele“ dieser meiner „Briefe“ schreiben.

Die Formulierung „zu viele“ deutet auch auf einen Vergleich hin:

  • „Zu viel“ kann eine beschränkte Lesekapazität bedeuten – aber niemand zwingt zu lesen, man kann ja auch einfach speichern oder löschen …
  • „Zu viel“ kann aber auch bedeuten, dass man sich selbst als potenzielle Publizistin vergleicht und unterlegen fühlt.
  • „Zu viel“ kann weiters auch bedeuten, dass es gar nicht um die Quantität geht, sondern um den Inhalt: Zu viele Informationen, die mit der eigenen Weltsicht konfligieren …

Aber genau deshalb schreibe ich ja – um anzuregen, mehr Blickwinkel als nur „richtig“ oder „falsch“, „angenehm“ oder „unangenehm“, „empörend“ etc. aufzuzeigen.

Außer bei körperlicher Gewalt, bei der man sich so gut wie möglich, daher schnell schützen muss, gilt es herauszufinden, was konkret den oder die anderen so wütend gemacht hat – und ich gebe die Antwort: Zu wähnen, dass es der anderen Person besser geht als einem selbst.