Halt! Gewalt!

Wir leben in einer dualen Welt – in einer Welt, die wir in Abgrenzungen und Gegensätzen wahrnehmen. Der Sündenfall – Sünde von sondern, absondern – besteht im Herausfallen aus der paradiesischen Einheit. Die kann man Gott nennen oder auch Mutterleib oder auch Mutter Erde, aus der in der poetischen Sprache des Ersten Testaments JHWH den Menschen formt und in die unser aller Körper in unterschiedlicher Form zurück sinken, egal ob in einer Erd-, Feuer- oder Wasserbestattung.

Seit dem Sündenfall erkennen wir Gut und Böse. Wir sind nicht mehr „unschuldig“, denn wir wissen jetzt, dass es Böses gibt: Töten, lügen, stehlen, missbrauchen – die vier großen ethischen Verbote, die es in jeder Hochreligion gibt.  Seitdem sollten wir uns auch die Verantwortung für unser Tun bewusst sein. Wollen wir gute Menschen sein oder böse? Und wie gehen wir mit dem Bösen ins uns um (das ja zur Ganzheit dazu gehört und überhebliche Güte aufs menschliche Maß mildert).

Wenn uns Böses widerfährt, wird das Böse in uns geweckt: Neurophysiologen würden sagen, es werden Spiegelnervenzellen in uns ausgeformt. Durch diese können wir aber uns nicht nur gleichschalten, sondern wir können uns auch distanzieren – wir besitzen ja Sprachvermögen und damit die Möglichkeit, uns selbst andere Verhaltensweisen zu suggerieren als nur animalische Stammhirnreaktionen wie zubeißen, zudrücken, zuschlagen … vorausgesetzt wir haben dies „gelernt“.

Gott tötet nicht. Gott ist Liebe (1 Johannes 4, 16) und Liebe eint und spaltet, vernichtet nicht.

Menschen berufen sich jedoch immer wieder auf Gott – also etwas fulminant Jenseitiges – wenn sie etwas Ungewohntes und scheinbar Unbeherrschbares in sich spüren: Sie projizieren diese Gewalt in sich nach außen, in eine überdimensionale Vaterfigur, die Erfahrungen der frühen Kindheit ähnelt (die können auch aus virtuellen Welten stammen). In dieser Zeit nimmt man noch alles auf wie ein Schwamm – außer man wird darauf hin trainiert, Böses aus sich herauszudrücken oder herauszuspülen. Nur was man kennt, kann man auch kontrollieren. Aber man muss es lernen. (Dazu hilft beispielsweise die Psychoanalyse, egal ob nach Freud, Adler oder Jung.) Das heißt dann Selbstverantwortung – und nicht mit „Deus vult – Gott will es“ Verantwortung abschieben auf einen, der nur im verengten Geist existiert (und nicht im liebenden Herzen).

In der Liebe zu bleiben, auch wenn man Böses ablehnt und nach Möglichkeiten der Verhütung, Vertreibung, Vernichtung sinnt, ist Voraussetzung dafür, angesichts des Schreckens gesund zu bleiben. „Fürchtet euch nicht!“ heißt es immer wieder in der Bibel.  Sich fürchten bedeutet, sich zu verengen – flach zu atmen oder zu hecheln, die Muskeln anzuspannen und sich klein zu machen, zu verkrümmen … Damit wird aber die soziale Kreativität verhindert, die man braucht um nicht selbst böse zu werden. Wir sollten daher achten, den Satz „Da werd ich aber böse!“ nicht zu denken oder auszusprechen. Er könnte zum Charakter anwachsen.