Mir hat vor vielen Jahren einmal eine Kollegin, die sich intensiv mit Grenzwissenschaften beschäftigte, angekündigt, im Laufe der 2010er Jahre würden alle Schweinereien sogenannter Mächtiger ans Tageslicht kommen, weil immer mehr Menschen die verborgenen Schattenseiten bisher vorgeblich tadelloser Menschen zu kritisieren wagen würden und alter aufgestauter Unmut bis Hass würde sich über diese ergießen.

Derzeit ergießen sich diese Emotionen und Handlungsimpulse über Denkmäler historischer Gestalten, deren wirtschaftliche oder militärische Aktionen gegen indigene Bevölkerungen ihres bisher nur vereinzelt kritisierten Rassismus entblößt werden.  Denkmäler werden beschmiert, geköpft oder gestürzt – oder präventiv von den Kommunalverwaltungen entfernt, um in Museen bewahrt zu werden.

Das trifft die Statuen des längst beschuldigten König Leopold II. von Belgien (1835–1909): Dass er den Kongo nicht bloß wirtschaftlich, sondern auch als Privatkolonie persönlich ausgebeutet hatte, war schon längst thematisiert, wie auch die Vertreibungen, Vergewaltigungen, Verstümmelungen und Ermordungen der Einwohnerschaft (https://de.wikipedia.org/wiki/Kongogräuel). Aber nicht nur seine Untaten tauchen wieder ins Blickfeld. Durch die internationalen Solidaritätsaktionen gegen Rassismus und Polizeigewalt trifft die späte Wut auch den Begründer der Pfadfinder-Bewegung Robert Baden-Powell (1857–1941), der Kinder als Späher im Krieg gegen die Buren einsetzte (https://orf.at/stories/3169247/), und ebenso wurde das Denkmal von Christopher Columbus (1451–1506) nicht verschont (https://www.bote.ch/nachrichten/panorama/denkmal-von-christopher-columbus-gestuerzt;art46441,1245953). Dass da auch das Denkmal des wegen seines Antisemitismus umstrittenen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1844–1910) Farbe abbekommen hat, wundert nicht: In jedem Land finden sich vormals glorifizierte „Autoritäten“, an deren Denkmälern man seine Wut auslassen kann – das Vorbild dazu hat internationale Tradition, der Unterschied ist nur, ob das petrifizierte Hassobjekt beschädigt oder vernichtet wird.

So sehr ich die Demonstration der kollektiven Verurteilung gutheiße, so wenig mag ich Vandalismus akzeptieren: Er entwürdigt nicht nur diejenigen, die sich zu dieser Form primitiver Gewalt hinreißen lassen sondern auch diejenigen – egal ob Kritiker an der Basis oder Verwalter in den Kommunen – die sich nicht zu dem logisch nächsten Schritt entschließen können, nämlich aus Denkmälern Mahnmäler zu machen.

Man kann die Geschichte nicht auslöschen. Die „damnatio memoriae“ – der Versuch, die Erinnerung zu beseitigen – funktioniert nicht, weder individuell noch kollektiv. Verdrängtes Wesentliches kehrt wieder, weil Wesentliches Spuren hinterlässt. Das weiß die Psychoanalyse ebenso wie die Kriminalistik (und in ein paar anderen Berufen weiß man das auch). Aber man kann die Geschichte so aufbereiten, dass sie zur Mahnung taugt: So wie auch historische Bauten verändert werden – wir werden es bald an Notre Dame erleben – können auch Denkmäler verändert werden, wenn es Not-wendig ist; und wenn man erkennt, dass man etwas / jemand zu Unrecht positiv bewertet hat, steht die Korrektur an – aber das kann die reflektierte Kunst besser als der unbedachte Volkszorn. Um diesem aber auch Respekt zu erweisen, könnte man ja auch Wettbewerbe veranstalten – oder einfach die Bevölkerung um Vorschläge ersuchen … Jedenfalls ist Kreativität gefragt.

Warum also nicht die bildende Künstlerschaft heranziehen, dass sie beispielsweise Leopold II. Sklaven an der Kette zufügt? Gedenktafeln am Sockel anzubringen wäre allerdings billiger … Aber wie das beschämende Beispiel der Schändung von „Stolpersteinen“ (im Gehsteig vor Häusern zum Gedenke an die jüdischen Nazi-Opfer, die dort gewohnt haben) anzeigt, gibt es leider auch Menschen, die berechtigte kollektive Scham oder Reue nicht dulden wollen.