Im Brief Nr. 46 vom 16. Juni habe ich angekündigt, als Zeitzeugin noch einige aufklärende Informationen zur österreichischen Fristenlösung nachzuliefern.

Ich war 1969 das erste Mal – damals noch von der SPÖ-Bezirksorganisation Donaustadt – zur Wiener Frauenkonferenz delegiert und erlebte die Vertreterin des VSStÖ, die Psychologin sowie auch Soziologin Irmtraut Gössler (geb. Marsch, später Leyrer, heute Karlsson – Wikipedia stimmt da nicht!) – sehe sie noch vor mir, eine zarte junge Frau in einem roten Polo-Mini-Kleid; später wurde sie Abgeordnete zum Bundesrat, Nationalrat, Generalsekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale und erfolgreiche Autorin – am Rednerpult, die leidenschaftlich „Mein Bauch gehört mir!“ forderte. Gemeinsam mit der nachmaligen Politologieprofessorin Eva Zgraja (später Kreisky) und der Soziologin Rosemarie Fischer (später Dorrer, heute Santha) gründete sie kurz darauf das „Aktionskomitee zur Abschaffung des § 144 StG“, dem auch ich (damals endlich mit meinem Erstgeborenen schwanger) angehörte und dessen Aktivistinnen auf öffentlichen Plätzen Unterschriften sammelten, damit Frauen in Notsituationen nicht mehr vor dem Strafrichter landen sollten oder auf dem Küchentisch einer „Engelmacherin“ verbluten – eine alte Forderung der Sozialdemokratinnen aus 1928.

Uns ging es nur um die Abschaffung der Strafbarkeit – und um Aufklärung über Empfängnisverhütung, denn damals gab es zwar bereits die „Pille“, verschrieben – welch doppelsinniges Wort! – wurde sie allerdings nur von wenigen progressiven Gynäkologen (an Gynäkologinnen kann ich mich nicht erinnern). Das ging medial aber weitgehend unter, da mit der von katholischer Seite (und den meist konservativen Chefredakteuren, auch vom damaligen Generalintendanten des ORF, Gert Bacher) forcierten „Aktion Leben“ (deren Beraterinnen sich seit längerer Zeit aber auch zu einer korrekt-nondirektiven Beratungs- und Betreuungsarbeit bekennen und dabei in kirchlichen Kreisen oft Kritik einstecken müssen, sei fairerweise angemerkt) nur das „ungeborene Leben“ geschützt werden sollte, aber nicht unbedingt das der Schwangeren (die ja oft bereits mehrere Kinder zu versorgen hatten). So hatte ich das auch in meinem Jus-Studium (1962–1966) gelernt: Abtreibung dürfe nur aus schwerwiegenden medizinischen Gründen straffrei bleiben. Ich habe jetzt extra in meinen alten Skripten nachgesehen: Soziale (wirtschaftliche), eugenische (Schwerstmissbildungen) oder ethische (Zeugung während z. B. einer Vergewaltigung) Motive hätten unbeachtet zu bleiben.

Empfängnisverhütung wurde damals als Sünde definiert und dabei das Gottesgebot 1 Mose 1, 28 „Seid fruchtbar und mehret euch“ zitiert. Dass man diese Stelle auch als „Seid kreativ und fördert einander“ übersetzen kann, habe ich in meinem (auf meiner theologischen Masterarbeit basierenden) Buch „Sexuelle Reformation – Freiheit und Verantwortung“ ausführlich behandelt. Dass hinter dieser Sichtweise aber wirtschaftliche Interessen verborgen liegen, ergibt sich z. B. daraus, dass der (auf Lateinisch) „nasciturus“, (auf Deutsch) „der zu Gebärende“ juristisch Erbrechte besitzt … (und viele Kinder lange Zeit kostenlose Arbeitskräfte bzw. Soldaten oder „Heiratsware“ bedeuteten).

Das Aktionskomitee war erfolgreich – auch gegenüber ersten Widerständen in der eigenen Partei – vor allem durch die Unterstützung des damaligen Justizministers Christian Broda und der ersten Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg und vor allem der neu gewählten Wiener Frauensekretärin Johanna Dohnal; und wieder war es meiner Erinnerung nach Irmtraut Gössler, die in den parlamentarischen Enqueten damit aufhorchen ließ, dass sie den bereits 1323 heiliggesprochenen Dominikanermönch Thomas von Aquin (1225–1274) zitierte, dessen Lehre von der „Sukzessiv-Beseelung“ (bei männlichen Embryonen bzw. Föten nach 40 Tagen, bei weiblichen erst nach 80!) immerhin bis 1869 (da hob Papst Pius IX. die Unterscheidung von beseelt und unbeseelt auf) offizielle  katholische Lehre war.

Dass es uns mit der Verhütung ungewollter Schwangerschaften ernst war, zeigt auch der Einsatz für eine repressionsfreie Beratung und dazu dienenden Einrichtungen von Familienberatungsstellen als „flankierende Maßnahme zur Fristenlösung“ (und solche hatte es auch schon in der Zwischenkriegszeit im „Roten Wien“ gegeben und waren der Bevölkerungspolitik im Ständestaat und Dritten Reich zu Opfer gefallen). Dass ich 1975 – damals schon Bezirksrätin und Landtagskandidatin der SPÖ – eine solche in „meinem“ Bezirk Favoriten gegründet und aufgebaut habe und in der Folge von der Juristerei zur Sozialarbeit und Psychoanalyse gewechselt habe, verdanke ich der Unterstützung von Rosi Fischer. (Ein Foto mit ihr findet sich bei 1975 auf meiner persönlichen Homepage www.perner.info.)

Österreich war damals in den 1970er Jahren in vielen Bereichen Pionierland, insbesondere was Selbstbestimmung und Partnerschaft beruflich wie privat betrifft, und dennoch ist noch viel zu tun – und zwar nicht deswegen, weil es oppositionelle Bestrebungen gibt, die sollten Grundlage für Verbesserungen bieten, sondern weil viele Informationen fehlen, die man für Verbesserungen braucht. Deswegen unterstütze ich die Bemühungen, mittels offizieller Datenerhebungen mehr Information über die Lebenssituationen von Frauen zu erhalten, die sich zu einer Abtreibung entschließen. Denn ich weiß aus meiner jahrzehntelangen psychotherapeutischen Praxis, dass etliche junge unverheiratete Frauen von ihren Eltern zu Abtreibungen gedrängt und bedroht werden, dem Partner nichts von ihrer Schwangerschaft zu sagen, und ich weiß, wie sehr diese darunter leiden, wenn sie es später doch erfahren. Genau deswegen ist Beratung so wichtig – für alle Beteiligten!