Jetzt hat er also auch Superstar Plácido Domingo „erwischt“ – der Vorwurf der sexuellen Belästigung.

Zuerst: Ich finde es gut, dass die Los Angeles Opera, wo Domingo als General Manager wirkt, einen Unabhängigen Untersuchungsausschuss installiert hat, um die Vorwürfe zu untersuchen – hoffentlich in Konfrontation von „Klägerin“ und „Beklagten“, denn nur deren „Erzählungen“ zu lauschen ohne zu erleben, wie die KontrahentInnen wirken, wenn sie einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, schafft bloß einseitige Phantasiebilder bzw. Manipulationsversuche.

Zur Manipulation zähle ich auch, wenn manfrau die persönliche Vergangenheit der gegenwärtigen Sicht anpassen will. (Wenn man(n) beispielsweise wie seinerzeit Boris Becker von „Samenraub“ sprach statt Verantwortung für seine verhütungsfreie Spontaneität bzw. Bequemlichkeit zu tragen.) Zur Manipulation zählt aber auch, wenn man nicht zwischen traditionellem Balzverhalten, folie à deux und reiner Erpressung unterscheidet.

Bevor die „Pille“ theoretisch verfügbar wurde – in Österreich Mitte, Ende der 1960er Jahre, denn nicht alle Gynäkologen, Frauenärztinnen gab es kaum, verschrieben sie – mussten Männer sich intensiv um ihre Erwählte bemühen, um deren Schwangerschaftsängste zu überwinden. Die schönen, sportlichen, kreativen, stimmlich bevorzugten taten sich da leichter – und alle, die etwas zu versprechen hatten, und wenn es auch nur andeutungsweise war. Die Methode Neandertaler – Mammut erlegen und heimschleppen – wirkt ja auch heute noch: In der erotischen Anbahnung spielen Bereicherungsphantasien eine nicht unwesentliche Rolle, und wer um wen anderen wirbt (geschlechtsneutral gemeint), versucht sich beliebt zu machen. Dass diese Pseudoversprechen nicht eingelöst werden, wenn das Interesse erlahmt ist, ist normal – ebenso wie das Interesse erlahmt, wenn die Aussichten auf Erfolg schwinden. Auch das gilt für beide Geschlechter.

Heute gibt es die Möglichkeit, sich gegen allzu intensive „Werbung“ sprich Stalking sogar mit staatlicher Hilfe zu wehren, und die umgekehrte Situation, dass Werbung ins Leere fällt, muss man eben aushalten und daran reifen (heißt: die Selbstbestimmung anderer zu respektieren), und beides gilt wieder für beide Geschlechter – und dazu auch die permanente Gefahr der Selbsttäuschung. Wenn man etwa das Austesten von Nähe und Distanz (vulgo „ob was geht …“), Gleichklang oder Dissonanz schon für ein Heiratsversprechen bzw. Anbot einer „strategischen Partnerschaft“ hält. Selbst eine lebenslange Ehe beginnt mit Kontaktaufnahme und dann unterschiedlich langen Zeiten für Beziehungs- und Intimitätsaufbau oder gleich körperlicher Vereinigung. Langsamer ist erotischer und nachhaltiger, schneller leidenschaftlicher und pfüt vorbei.

In ihrem Kommentar auf https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/Kommentar-Belaestigungsvorwuerfe-gegen-Placido-Domingo,av-o1145529.100.html erklärt Maria Ossowski konkret, welche Unterschiede zwischen Domingo gegenüber Weinstein, Epstein oder Levine bestehen: Er hat weder erpresst, noch junge Mädchen verführt oder Kinder missbraucht. Er hat seine erotische Ausstrahlung nicht rücksichtsvoll zurück gehalten, sondern Sympathien und Interesse gezeigt (wie es dem Klischee des spanischen Galan entspricht). Auf Grund der Tatsache, dass nicht alle Frauen den Mut oder Humor besitzen, freundlich oder witzig abzulehnen, Rachefeldzüge oder Eigen-PR (denn wer kennt schon die wahren Motive?) zu produzieren statt an der Erweiterung des eigenen Verhaltensrepertoires zu arbeiten, finde ich aber genauso altmodisch.