Als eine Art Psychohygiene bezeichneten die 4 Angeklagten (3 Frauen, 1 Mann)  ihre Miss-Handlungen an BewohnerInnen eines Pflegeheims. (Kurier, 18.02.2021, S. 20). Das entspricht der subjektiven „Äußerung“ von Ärger, Ekel, Wut und psychischer Überforderung: Man „lässt Dampf ab“ – aber in Richtung derjenigen, die sich nicht wehren können außer zu schreien. Und genau das fordert neue Übergriffe heraus – denn viele haben in ihrer Kindheit gelernt „Wenn du schreist, fangst gleich eine!“

Äußern – Inneres nach Außen bringen – kann (und sollte) man aber auch anders: Idealerweise in einer solidarischen Supervisionsgruppe, in der man seine Befindlichkeit aussprechen und Verständnis erfahren kann. Man kann es schreiben, also auf Papier „bannen“. Dort bleibt es dann ja auch „festgehalten“. Und man kann einen Plan machen – beispielsweise eine spezifische Fortbildung – um mit unerwünschten Gefühlen umzugehen.

Leider ist Grausamkeit für viele nichts Unerwünschtes, sondern traditionelle „Erziehungsarbeit“ – allerdings nicht für sich selbst.

Ich wurde seinerzeit nach einem Pflegeskandal vom Chefjuristen eines Krankenanstaltsverbundes aufgefordert, für alle MitarbeiterInnen seines Wirkungsbereichs solch eine Fortbildung zu konzipieren, tat dies auch (immerhin gehöre ich zu ganz wenigen, die dafür eine spezifische Ausbildung besitzen und noch beruflich aktiv sind) und freute mich auf die ehrenvolle Aufgabe und die Unterschrift unter den Vertrag in der kommenden Woche. Und dann wurde gegen mich interveniert – von einer Jungpsychologin, die ihrem Ausbildungsverein hurtig einen Auftrag zugeschanzt hatte – allerdings für eine Methode, wie man zu Betreuende effizient „behandelt“. Ich verzichtete damals darauf mich zu wehren. Ich wollte auf die Gewalt gegen mich nicht mit einer Retourkutsche zurückfahren. Durch die – bedingte, leider ohne Therapieauflagen! – Verurteilung der Anti-PflegerInnen ist mir wieder bewusst geworden, wie wichtig es wäre, in „lehrenden“ Einzelsupervisionen Selbsterkenntnis und Selbststeuerung vorzubereiten, denn in der Gruppe werden Gewaltimpulse verschwiegen. Sie passen nicht ins Rollenbild von Fürsorge- und Gesundheitsberufen.

Ich erinnere mich noch genau, dass mir einmal eine Pflegekraft im Einzelgespräch gestand: „Wenn mich eine Alte ärgert, schneid ich ihr die Fingernägel so kurz, dass ihr alles weh tut!“ Im Klartext: Der Blick ist nur nach außen gerichtet statt nach Innen: „Ja, die geht mir auf die Nerven, aber ich kann meinen Beruf trotzdem korrekt ausführen – und deswegen bin ich auch stolz auf mich!“

Wenn jemandem von klein auf das Auf-sich-selbst-stolz-Sein verboten und stattdessen duldender Gehorsam befohlen wurde, wundert es nicht, dass die Rache-Bosheit der Kindheit allein oder in Gruppen nachgeholt wird, wenn man sich unentdeckbar wähnt. Wer klein gemacht wird, strebt danach, wieder groß und mächtig zu sein – und wenn es nur für einen Augenblick ist.

Und genau das gehört in Einzelsupervision – weil es ein Tabuthema ist.