Salutogenese – Aufbau und Förderung von Gesundheit – besteht in meiner Interpretation (s. mein Buch „Hand Herz Hirn“ aus 2011) darin, sich nach der Wahrnehmung von Gesundheit schädigenden Faktoren nicht nur auf die gewohnten Maßnahmen auf der psychosozialen Ebene zu konzentrieren, sondern sich um die Findung neuer (oder alter vergessener) Alternativen zu bemühen.

Das geschieht beispielsweise auch dadurch, dass man Verhaltensweisen anders definiert als bisher – in den letzten Jahren etwa durch neue Strafrechtstatbestände bzw. darin innewohnende Verbote wie Stalking (§ 107 a Strafgesetzbuch: beharrliches Verfolgen einer Person) oder die Verpönung (vom Lateinische poena, Strafe) von Rauchen in Amtshäusern oder Lokalen. Wir, die Gesellschaft, bestimmen durch unsere gewählte Vertreterschaft im gesetzgebenden Parlament, welches Verhalten wir nicht wollen, doch bleibt dabei offen, sprich ausbaufähig, welche Verhaltensweisen wir wollen: Was vorgeschrieben wird, was nur empfohlen, aber auch, was nur einmal angedacht und erst im Modellversuch überprüft werden soll.

Mir ist nach einer meiner Kommentare auf Facebook in Erinnerung gekommen, dass mein Vater – Jahrgang 1907, gebürtiger Tscheche (sein Vater, ein kleiner Schneidermeister aus Boretice, optierte erst 1918,  Österreicher zu werden; Deutsch war meines Vaters erste Fremdsprache gewesen, zum Zeitpunkt seines Todes beherrschte er 27!) – im Zuge des Ersten Weltkriegs gemeinsam mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester als sogenanntes „Wiener barn“ – Wienerkind – längere Zeit nach Dänemark „kriegsverschickt“ war. Er wurde von einer wohlbetuchten Kaufmannsfamilie in Odense aufgenommen, ging dort zur Schule, lernte Dänisch, Schwedisch und Englisch und die weltoffene Lebensweise (samt Liebe zu Smoerrebroed und Hygge), die sich vermutlich aus dem Blick aufs Meer (statt auf umschließende hohe Berge, Bäume oder Häuser) ergibt. Meine Großeltern waren froh, die Sorge um die Kinder „auf Zeit“ los zu sein, der Staat war moralisch entlastet, die Kinder profitierten aus der „Integration“ in eine höher entwickelte Gesellschaftsschicht und bekamen bessere Ernährung, Gesundheitspflege und vor allem Bildung. Der Vergleich machte ihn sicher, was er werden wollte: Lehrkraft für Sprachen, Deutsch und Englisch – und das war dann nicht nur seine Profession als Mittelschuldirektor sondern auch sein Hobby. So unterrichtetet er kostenlos in seiner Freizeit interessierte Jugendliche wie beispielsweise Hans Gratzer und Michael Haneke in Französisch (und ich durfte mit dabei sein), aber auch Erwachsene (z. B. in Ungarisch). Als ich mich im Theologiestudium mit Bibelhebräisch abplagte, ging er mir sehr ab … er konnte aber auch das moderne Ivrit.

Ich denke an: Könnte man nicht auch Eltern in Europa ansprechen, die so wie Holger Pedersen in Odense bereit wären, schulpflichtige Kinder (nicht die Kleinsten) „auf Zeit“ von Schuljahren bei sich aufzunehmen und den Eltern in den Flüchtlingslagern anbieten, ihnen ihre Kinder „auf Zeit“ anzuvertrauen? Das wäre dann kein primär juristischer Amtsakt sondern ein freiwilliger caritativer Akt mit hohem moralischen Mehrwert, außerdem Prävention gegen den „Kampf der Kulturen“ wie auch Ghettoisierung (damit meine ich das Bedürfnis nach engstem Zusammenschluss in vertrauter Gemeinschaft nach traumatischen Erlebnissen). Man könnte solch ein Modell sogar „rotieren“ lassen – analog von Auslandsemestern – und damit das freiwillige Kennenlernen verschiedener europäischer Länder und deren Kultur fördern.

Wie ich aus der Supervision von Personen, die sich nach Verlust ihres Arbeitsplatzes zwecks Erhaltung ihrer Selbstachtung freiwillig in der Betreuung von Flüchtlingen engagiert haben (s. mein Buch „Ehrenamt und Salutogenese“ 2016), weiß,  haben viele dadurch Kompetenzen erworben, die mit nachfolgenden „Aufschulungen“ die Basis für einen Berufswechsel bilden könnten. Ich werde noch weiter „über den Tellerrand hinaus denken“.

Vielleicht sollte ich mit Christian Konrad Kontakt aufnehmen …