Der weltberühmte deutsch-amerikanische Soziologe und Psychoanalytiker Erich Fromm (1900–1980) unterschiedet in seinem Klassiker „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ Menschen mit biophilem Charakter, die das Lebende und dessen Wachstum fördern im Gegensatz zu den von ihm nekrophil Genannten (nicht gleich zu setzen mit nekrophilem Fetischismus), die von Unlebendigem – Instrumenten und Technik – angezogen werden.

Fromm schrieb 1973 (!): „Beginnen wir mit der Betrachtung des einfachsten und augenfälligsten Merkmals des heutigen Industriemenschen: Im Brennpunkt seines Interesses stehen nicht mehr Menschen, Natur und lebendige Strukturen, sondern mechanische, nichtlebendige Artefakte nehmen immer größere Anziehung auf ihn aus. [–] Überall in unserer Welt gibt es Männer, die für ihren Wagen zärtlichere Gefühle und ein größeres Interesse hegen als für ihre Frau.“, und ihm sogar Kosenamen geben. „Oder ein anderes Beispiel: das Fotografieren. Jeder, der Gelegenheit hat, Touristen – oder vielleicht auch sich selbst – zu beobachten, kann feststellen, dass das Fotografieren zum Ersatz für das Sehen geworden ist. Natürlich muss man hinsehen, um sein Objektiv auf das gewünschte Objekt richten zu können; dann aber drückt man auf den Auslöser, der Film wird weitergedreht und mit nach Hause genommen. Aber Hinsehen ist nicht Sehen. Sehen ist eine menschliche Funktion, eine der größten Gaben, die der Mensch mitbekommen hat; es erfordert Aktivität, inneres Aufgeschlossensein, Interesse, Geduld und Konzentration. Einen Schnappschuss machen (die aggressive Bezeichnung ist aufschlussreich) bedeutet seinem Wesen nach, dass man den Akt des Sehens zu einem Objekt macht – dem Foto, das man später Bekannten als Beweis dafür zeigen will, dass ,man dort war‘.“ Ich ergänze: Und außerdem verschiebt man „schnell“ sein „Aufnahmevermögen“ in den Apparat und erspart sich damit die Fühlreaktion.

Und man „kann“ dann auch nicht etwas anderes tun – beispielsweise bei einem Unglücksfall helfen.

Deswegen bin ich dafür, den Straftatbestand der „unterlassenen Hilfeleistung“ mit „Behinderung einer professionellen Hilfeleistung“ zu erweitern. Man braucht nur „Aus-dem-Weg-gehen“ als Hilfeleistung für professionelle Helfer zu verstehen.

Fromm kritisierte schon damals, dass immer mehr menschliche Aktivitäten mittels Maschineneinsatz verkümmern (und zitiert dazu das Zu-Fuß-gehen, Türen-öffnen, Ohne-Maschine-rechnen) sowie die „Anbetung der Geschwindigkeit“.

An all das und die dahinter stehenden Industrie-Interessen musste ich bei dem aktuell allgegenwärtigen Bystander-Problem denken (siehe auch mein Brief 75 aus 2017) wie auch bei den School Shootings: Es sind immer auch „Maschinen“, die in Aktion genommen werden, obwohl man Gefühle – destruktive wie auch konstruktive, falls man solche hat – ganz anders „leben“ könnte. Dann kann man den Mund sprechen lassen und zwar – wieder destruktiv oder konstruktiv – mit jemand anderem und ihn nicht durch eine Maschine ersetzen.