Halt! Gewalt!

Damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin für die Trennung von Kirche und Staat.

Und ich bin für das Menschenrecht der Religionsfreiheit, was auch das Recht auf Freiheit von jeglicher Religion bedeutet. Religion oder Nichtreligion ist Privatsache – und soll das auch sein. Sie ist damit aber auch Bestandteil von Selbstbestimmung, spiritueller Gesundheit und Selbstachtung.

Nun schlägt der „Integrationsexperte und Regierungsberater“ Heinz Faßmann (studierter Geograph und Wirtschaftshistoriker und derzeit Vizerektor der Universität Wien) ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst vor (www.orf.at/#/stories/2373908/) – das Kreuz in den Klassenzimmern sieht er hingegen „historisch“ gewachsen“, das darf bleiben, sagt er. (Ich denke: Ohne das seinerzeitige Morgengebet hat es seine Funktion verloren.)

Bei aller Kritik an patriarchalen Begründungen für die Frauenhaarphobie (oder aber Fetischierung!) vieler Männer, zeigt sich aus tiefenpsychologischer Sicht dabei das Thema, was jemand auf dem Kopf tragen darf (und wie er oder sie den Kopf tragen darf): eine Krone? Haarkrone? Goldlocken? (Was wären Thomas Gottschalk oder Hansi Hinterseer ohne ihre Haarpracht? Gealterte Männer wie andere auch …) Goldhelme nur zum Radfahren? Militärmützen? Turbane? Nudelsiebe?

Was hält eine Gesellschaft an Variationen aus, die sich angeblich zu Diversity bekennt?

Oder dürfen nur Männer permanent mit Kopfbedeckungen auftreten, wie der Maler Gottfried Helnwein mit seinem Kopftuch oder Erich Fenninger von der Volkshilfe mit seiner Schiebermütze (à la Charly Kappl – aber wer kennt diese Comic-Figur heute noch?), und Exekutivbeamte im Dienst sowieso?

Ich habe noch im Benimm-Unterricht gelernt, Männer hätten in geschlossenen Räumen Kopfbedeckungen abzunehmen, Frauen hingegen dürften am Nachmittag sehr wohl passende Hüte (und feine Spitzenhandschuhe) auf- und anbehalten. Ebenso hat bei den Grace-Kelly-Kopftüchern (wobei sich diese „Mode“ kaum von den Kopftüchern muslimischer Frauen unterschieden hat) der späten 1950er Jahre niemand verlangt, dass wir uns aus den verschlungenen Kopftüchern herausschälen. Und soweit ich mich erinnern kann, haben die Bäuerinnen in Laa an der Thaya, wo ich Anfang der 1950er Jahre in die Volksschule gegangen bin, ihre Kopftücher auch den ganzen Tag nicht abgenommen.

Ich meine: Wichtig ist doch „die Herausforderung des Gesichts“ (Emanuel Levinas) – und wer sich bereits durch Haare herausgefordert fühlt, möge doch darüber nachdenken, welche Gefühle sie bei ihm (oder ihr) auslösen: Begehren? Neid? Aggression? Oder coole Gleichgültigkeit?

Ich kann mich noch gut erinnern, wie sich die Angehörigen meiner Großelterngeneration (Geburtsjahrgänge so ab 1880) erregten, als im Gefolge des Musicals Hair die jungen Männer Friseurausgaben sparten, denn „lasst es leben – Gott hat’s mir gegeben“ … Vielfach indoktriniert auf den nationalsozialistischen militärischen Rasurrschnitt mit Oberschopf und Scheitel links, wie er derzeit übrigens bei jungen Orientalen in Mode ist, (und Zöpfen oder kurzen Wasserwellenfrisuren für Frauen), schien ihnen die „unordentliche“ Haartracht der Hippies fast schon kriminell … denn sie hatten vergessen, wie sie sich in der Monarchie noch für langlockige Söhne und Enkel begeistert hatten.

Ungebändigtes Haar steht für Freizügigkeit – und die passt beispielsweise nicht, wenn man den Kochberuf ausübt oder in einem Labor arbeitet oder am Operationstisch … das zählt alles zur Funktionalität. Und die kann sich ändern – denken wir nur an die ehemalige Badehaubenpflicht. Moden hingegen tauchen auf und wieder unter.

Was aber nicht vergessen werden sollte:

Mit befohlenen oder verbotenen Kopfbedeckungen sind traditionell Machtspiele verbunden!

Vor der „Herrschaft“ hatte der Knecht seine Mütze abzunehmen und im Vatikan haben Frauen das Haupt zu bedecken.

Wenn man solche Gebote kritisieren will – und dafür bin ich – sollte nicht Gleiches mit Gleichem – nämlich Geboten und Verboten – beantwortet werden, sondern die geheimen Ziele enttarnt und in Frage gestellt – z. B. Menschen wegen ihrer Religion zu diskriminieren.

Oder wegen ihres Gesundheitszustands.

Denn nicht jede Krebspatientin (Männer mitgemeint) hat den Mut (und aktuell: die Kälteresistenz), ihren kahlen Kopf ungeschützt in der Öffentlichkeit – und auch im öffentlichen Dienst – zu zeigen.