Die Staatsanwaltschaft hat gegen das ihrer Ansicht nach zu milde Urteil 18 Monate bedingte Freiheitsstrafe, 2.169,– € Geldstrafe und Berufsverbot für Arbeit mit Kindern berufen, lese ich soeben in orf.online. Das Gericht hatte demgegenüber die polizeiliche Selbstanzeige des Ex-Kindergärtners, den selbständigen Beginn einer Psychotherapie und den Versuch der Schadensgutmachung bei der Strafbemessung wohlwollend anerkannt.

Ich frage mich: Auf welche Weise hat der Vorschulpädagoge Schadensgutmachung versucht? Vermutlich durch eine Entschuldigung. Aber hilft das den belästigten/belasteten Kindern? Erfahrungsgemäß haben sexuelle Übergriffe Spätfolgen: Die Symptome dafür – z. B. Hyperaktivität oder im Gegenteil sozialer Rückzug, Angstzustände und Vermeidungsverhalten (beispielsweise beim Umziehen für Turnunterricht), aggressives oder sexualisiertes Verhalten – werden häufig fehlverstanden und leider oft sogar bestraft.

Fehlverstanden wird aber oft auch die Liebe zu Kindern, gilt sie doch als Voraussetzung zum beruflichen Engagement in Feldern von Kinderbetreuung, Kindererziehung, schulischer wie auch außerschulischer Kinder- und Jugendarbeit, Kinderheilkunde, Seelsorge und was noch alles an Einrichtungen zur „Förderung“ staatlich oder privat angeboten wird. Überall finden sich immer wieder Übergriffe in den Intimbereich der Obsorgeanvertrauten, und das hat mehrere Gründe: Einerseits Mängel in den dazu (leider nicht immer erforderten) nötigen Ausbildungen und Supervisionen, andererseits und damit in Zusammenhang die Scheu, Verdachtsmomente anzusprechen. Dazu braucht man nämlich auch eine Kompetenz, die man erst erwerben muss, um nicht „mit der Tür ins Haus zu fallen“ und Abwehr auszulösen oder gar der Verleumdung geziehen zu werden. Dazu kommt noch die fast immer fehlende Bereitschaft zur Selbstreflexion und zur Übernahme von Verantwortung, denn nach unserem Rechtssystem dürfen Beschuldigte lügen, was das Zeug hält – in Juristensprache: „alles der Verteidigung Dienliche vorbringen – wahr muss es nicht sein“. Wahrheit sprechen müssen nur Zeugen (und tun es auch oft nicht, aus Irrtum, Phantasie oder Wichtigtuerei).

Ich werde immer wieder befragt, wo die Grenzen zwischen „normaler“ Zärtlichkeit mit Kindern und schädigenden Handlungen liegt. Ich antworte dann, dass schon „normale“ Zärtlichkeit schädigen kann – wenn sie zu intensiv, langandauernd, eklig oder einfach nur unerwünscht ist. Wenn sie den Bedürfnissen des Erwachsenen entspringt und davor allem sexuellen. Näheempfinden kann sexuelle Gefühle auslösen, und diese sollte man bei sich behalten (und sich innerlich daran erfreuen) können und nicht zwanghaft ausagieren (oder absichtlich herbeiführen) müssen, und das kann man lernen. Nicht nur für den Umgang mit Kindern!

Mit der eigenen Energie achtsam umgehen zu können, zählt nicht nur zur Professionalität pädagogischer und therapeutischer Berufe, sondern ist überhaupt die Basis von Sozialkompetenz.