Als ich noch SPÖ-Politikerin war (1969–1987), wurden wir in den Rhetorikschulungen angewiesen, Killerphrasen zu enttarnen, indem wir den Inhalt direkt nachfragen – denn diese dienten nur der Einschüchterung derjenigen, die man kritikunfähig bzw. gleich mundtot machen will.

Die Anwendung dieser Erkenntnis stellte dann auch eine der Ursachen für meinen Konflikt mit dem ehemaligen Krimi- und Drehbuchautor, Fernsehdirektor und selbsternannten „Sexualforscher“ Ernest Borneman (1915–1995) und seinen Fans dar: Er schrieb bespielweise 1989 Jeder, der sich je mit dem Studium der Kindersexualität befaßt hat, weiß natürlich, daß die Anzahl der sexuellen Beziehungen zwischen Frauen und Knaben in fast allen Kulturen der Welt höher ist als die zwischen Männern und Mädchen.“ (In: Christian König (Hg.), „Gestörte Sexualentwicklung bei Kindern und Jugendlichen“, Ernst Reinhardt Verlag. S. 120). Das ist eine klassische Killerphrase: Es wird etwas – ohne Nachweis der wissenschaftlich anerkannten Quelle – behauptet und mit den Worten „Jeder“, „Studium“, „befasst“ und „natürlich“ wird eine virtuelle Welt von Wissenden (Wissenschaftlern) in den Raum gestellt und dadurch allen, die sich nicht damit – wie auch immer – „befasst“ haben (und das besagt listigerweise nicht, dass jemand ein einschlägiges Studium abgeschlossen hat) wird vermittelt, dass sie Ignoranten sind, die nicht mitreden dürfen.

Daran musste ich denken, als ich im Kurier vom 5. November auf Seite 8 den noch amtierenden Bundeskanzler – ich vermeide bewusst die journalistische Kurzformel „Noch-Bundeskanzler“ weil ich sie abwertend empfinde – Christian Kern im Zusammenhang mit Stimmenzugewinn im urbanen Bereich sagen las: „Wer glaubte, dass das Land in eine richtige Richtung geht, hat eher die SPÖ gewählt.“ Das ist eine Killerphrase: Es wird etwas behauptet – und gleich wieder mit „eher“ abgeschwächt.

Ich hab im August dieses Jahres der SPÖ meine finanzielle Unterstützung entzogen, weil Kandidatinnen anderer Parteien auf ein unwichtiges Detail ihrer Biografie reduziert (und die damit verbundenen wichtigen Funktionen für Land oder Institutionen gelöscht) wurden. In dem zitierten Kurier-Interview behauptet Christian Kern: „Auch die Regierungsverhandlungen sind bisher ein einziges Marketingprojekt, wenn ein Burschenschafter mit Skirennläufern verhandelt, dann geht es um Spektakel und nicht um die Sache.“ Den Burschenschafter konnte ich orten – aber wer ist der Skirennläufer? In den Biografien der Verhandelnden finde ich diese Detail nicht. Aber vielleicht hat irgendwer in jungen Jahren ein Rennen gewonnen … und hat sich dann in einer Interessensvertretung engagiert und profiliert wie etwa Dkfm. Elisabeth Gürtler – ehemals siegreiche Turnierreiterin – als Tourismusexpertin. Was würde Kern sagen, wenn man ihn permanent in Bezug auf die Zeit, in der er so alt war wie jetzt Sebastian Kurz, heute nur als Pressesprecher bezeichnen würde? (Dass er als Magister der Publizistik und Kommunikationswissenschaften dieses Metier beherrscht, ist deutlich anerkennbar – so betreibt er mit dem später nochmals verwendeten Wort „Marketingveranstaltung“ (S. 9)  klassisches Priming – siehe auch meinen „Brief gegen Gewalt Nr. 147 – und diskriminiert damit präventiv das Bemühen der möglichen Koalitionspartner, zu einer Einigung zu kommen.)

Ich weiß schon: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Den Satz habe ich in den 15 Jahren als Mandatarin der SPÖ immer wieder gehört – aber was zwingt Christian Kern jetzt schon wieder Dirty Campaigning zu betreiben?