Wer erinnert sich noch an die Spötteleien, „Mein letzter Wille – eine Frau mit Brille“? Das war aber noch harmlos. Zu mir – damals 11jährigen – hat man „Glasscherben-Bongo“ gesagt, und ich habe jahrelang meine Brille in der Handtasche verborgen und nur im dunklen Kino aufgesetzt, und im Tageslicht bin ich herumgestolpert wie Marilyn Monroe in „Wie angelt man sich einen Millionär?“ (aber natürlich nicht so schön).

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich meinen Ehemann kurz nach unserer Heirat 1968, als er – um mich wie üblich bevor er seinen Dienst im Pressedienst der Stadt Wien antrat an meinem Arbeitsort, der OeNB am Otto Wagner-Platz abzusetzen – von der Sinagasse kommend, wo wir damals wohnten, in der Nordbahnstraße links Richtung Am Tabor abbog, wo sich an der Ecke ein Gasthaus befand, warnte, „Achtung Einbahn!“ und er mich lachend aufklärte, dass ich das Coca-Cola-Schild neben dem Eingang missinterpretiert hatte … Meine Brille blieb dennoch in der Tiefe meiner Taschen.

Gottlob hat sich das geändert – hierorts Dank an Werbe-Ikone Nina Proll! – oder auch nicht? Liegt es daran, dass Brillen als Zeichen von Intellektualität (und vermuteten nächtlichen Lese-Orgien?) gewertet werden und diese Männern vorbehalten bleiben soll? So im Sinne von „Sei schön und halt den Mund?“ (Filmtitel aus 1958)?

Brillen erinnern uns daran, dass wir „Prothesen-Götter“ (© Sigmund Freud) sind – aber bei Männern wird dies ins Gegenteil verkehrt (ich erinnere daran, wie sich Tony Curtis in „Some like it hot“ mit geklauter Brille einen seriösen Anstrich verschaffen will), bei Frauen noch immer gelegentlich als Stigma gewertet – obwohl immer mehr Bildschirm-Arbeit auch immer mehr Sehschwächen produziert – nur erkennen wenige Menschen die Kontaktlinsen im Auge der Nächsten. Tiefenpsychologisch könnte man Sehschwächen oder -störungen auch dahingehend hinterfragen, was „nicht gesehen“ werden soll – etwa wenn Symptome in bestimmten Lebensphasen (Pubertät, Klimakterium) auftreten … ob das etwa auch etwas mit der Veränderung in Hinblick auf sexuelle Attraktivität zu tun hat.

In diesem Zusammenhang sei auch an die Verpflichtung zum Tragen von High Heels in bestimmten Arbeitsfeldern (z. B. Filmfestspiele Cannes – Aufregung über High-Heels-Pflicht | Tiroler Tageszeitung Online – Nachrichten von jetzt! und die Proteste dagegen) erinnert, oder auch wie lange es gedauert hat, dass in Österreich Frauen lange Hosen am Arbeitsplatz gestattet wurden (als ich 1968 in die OeNB eintrat, war das noch verboten).

Wenn gegenwärtig selbsternannte tschetschenische „Sittenwächter“ Kleidung und Verhalten ihrer Schwestern und Frauen oft grausam kontrollieren bzw. bestrafen, sind wir entsetzt. Wenn eine Kontaktlinsenträgerin aus welchen Gründen auch immer zur Brille wechselt – und nicht von einer Brillenfirma dafür als Testimonial bezahlt wird – wird das kritisiert.

Und weil all das bei Männern nachweislich nicht geschieht, ist es sexistisch, das hat Nadja Bernhard aufgezeigt – mutig, denn wie aus den Reaktionen erkennbar wird, hat sie damit an ein Tabu gerührt.