Halt! Gewalt!

Die Zeitung ÖSTERREICH hat heute das inkriminierte Böhmermann-Gedicht abgedruckt. Ich war entsetzt.

Zwar hatte ich in den Zeitungen der letzten Woche gelesen, dass der türkische Staatspräsident Erdogan von Deutschland die strafrechtliche Verfolgung dieses „Satirikers“ verlange und nunmehr die Freiheit der Kunst diskutiert werde … und war da natürlich klarerweise für Meinungsfreiheit und Schutz von Künstlern. Nun kenne ich den Text – nur von Kunst merke ich nichts – außer im äußersten Wohlwollen vielleicht, dass der Text gereimt ist.

Keiner von uns Durchschnittsbürgern im Vollbesitz der geistigen Kräfte (dabei denke ich an Cordulas geistig zurückgebliebenen Verehrer in Anton Wildgans „Kirbisch“, der zu allem Spott lacht!) ließe sich solche zotigen Unterstellungen zahlloser Sexualdelikte wehrlos gefallen. Das ist weder lustig noch ein politischer Protest, das ist möglicherweise als provokative Werbung zum Berühmtwerden beabsichtigt. Denn vor diesem Eklat hatte ich z. B. noch nie etwas von Jan Böhmermann registriert.

Wer erinnert sich noch den legendären Kopfstoß von Zinédine Zidane, der Frankreich 2006 den WM-Titel kostete? Materazzi hatte dessen weibliche Verwandte beschimpft – aber auch bei uns höre ich immer wieder ähnliche Beschwerden, etwa dass türkischstämmige Jugendliche die Mütter ihrer Schulkameraden als „Huren“ beschimpfen – aber ist es wirklich hilfreich, Gleiches mit Gleichem zu vergelten? Dass so etwas im Affekt passiert ist wohl verständlich – aber wohlgeplant und ausgetüftelt wie ein Gedicht? Und noch dazu gegen jemand, dessen Kenntnis man bestenfalls aus dritter Hand bezieht.

Es sind nämlich schon auch manche Medienmacher, die um des „Sagers“ willen Worte und Sätze veröffentlichen, die sie selbst – über die finanziellen Folgen von Medieninhaltsdelikten für ihren Arbeitgeber gut informiert – vermutlich nie publizieren würden. Dass sich manche freuen, wenn jemand anderer für sie in den Krieg zieht, kenne ich nicht nur von meiner Klientel sondern auch von mir selbst … aber dann versuche ich auf solche „Gags“ zu verzichten – beispielsweise Irmgard Griss wegen ihres eingefrorenen Dauerlächelns auf Grins umzutaufen. Das wäre nicht korrekt – und auch nicht witzig.

Immer wieder sei daran erinnert (wie schon Sigmund Freud in „Der Witz“ schrieb): Es gibt tendenzfreie, d. h. albern-lustige,  und tendenziöse, d. h. aggressiv-zotige Witze. Bei beiden ist aber eine art geistiger „Rösselsprung“ enthalten, der verblüfft, weil er einen Wahrheitskern entblößt oder übertreibt. Bei Böhmermanns Gedicht trifft weder das eine noch das andere zu. Es ist einfach letztklassig.

Wenn man einen Staatschef so gezielt verächtlich machen will, trifft man auch alle Staatsangehörigen, die diesen wertschätzen. Sind das geeignete Integrationsangebote? Ich bin sehr für politischen Protest gegen  Menschenrechtsverletzungen – aber Menschenrechte wie das auf Unversehrtheit der Person, dazu zählt auch die seelische! gelten für uns alle, vor allem in Erinnerung an die verbalen Mordversuche des Dritten Reichs.

Wenn daher DER STANDARD am 13. April unter „Leserstimmen“ folgenden Satz von Irene Berger, Linz (!), abdruckt: „Pröll ist nach Haider der windigste Politiker der Nachkriegszeit Österreich, leider fehlt es den Funktionären an Courage diesen machtgeilen Betonierer einfach zu ignorieren bzw. in das überfällige Abseits zu stellen“, dann finde ich als Niederösterreicherin, die mit vielen Landeshauptleuten und Minister_innen fachlich zusammen gearbeitet hat und daher über intensive Vergleichsmöglichkeiten verfügt, diese Zuschreibungen nicht nur extrem unwahr, sondern wiederum als Zeichen, wieviel Mist sich in den Seelen vieler Menschen angesammelt hat, den sie ohne nachzudenken loslassen. Meine Kritik trifft daher nicht die vermutlich uninformierte Oberösterreicherin sondern die Journalist_innen, die diesen Negativvorbildern an Verhetzung Raum geben. Manche tüchtigen Politiker_innen verlassen nämlich ihre Funktionen deshalb, weil sie oder ihre Kinder Morddrohungen erhalten – aber das gehört auch nicht in die Medien, sonst entstehen nur wieder neue Vorbilder.