In „Brief“ Nr. 35 habe ich den Begriff Mem, Mehrzahl Meme, erklärt: Begriff- oder Wortschöpfungen, die sich wie Gene im Genpool in Windeseile im „Mempool“ von Gehirn zu Gehirn fortpflanzen. Werbung und Propaganda lebt davon, solche „Ohrenschlieferln“ (und ebenso optische oder gestische Marken) zu kreieren. Auch im individuellen Alltag verankern sich Kose- wie auch Schimpfworte, deswegen frage ich oft meine KlientInnen, „Welches Wort wollen Sie nie bzw. immer wieder hören?“, denn auf diese Weise findet man relativ schnell Zugang zu den dazugehörenden Gefühlen wie auch darunter liegenden alten Verletzungen – oder aber heilenden Situationen.

Wem es gelingt, anerkennende Begeisterung von Journalisten durch solch eine Worterfindungen zu erregen, kann der oftmaligen Zitierung sicher sein – wie Herbert Kickl mit seiner paradoxen Sprach-Kreation „kalte, nüchterne Machtbesoffenheit“. Nüchtern und besoffen? Wie geht denn das?, dachten sich die meisten JournalistInnen und ließen das Wort „nüchtern“ weg – dabei liegt gerade darin die Pikanterie der Wortneuschöpfung. Denn „Machtrausch“ hätte weder Aufmerksamkeit noch Zustimmung gefunden: Den unterstellt man erstens ohnedies jedem Menschen, der mit Macht umzugehen weiß – und Politiker (in diesem Zusammenhang nur männlich gedacht, bei Frauen wird – ausgenommen Angela Merkel – diese Zuschreibung üblicherweise vermieden – sie könnte ja sonst alltäglich werden) brauchen und erhalten Macht, sonst könnten sie ja kaum was bewirken – und zweitens ist anzunehmen, dass jeder neutrale Beobachter zwischen „rauschigen“ und „nüchternen“ Menschen unterscheiden kann, deswegen wird ja versucht, sie mit paradoxen Wortkombinationen zu verwirren! In der Hypnotherapie – die ja ein wesentlicher Bestandteil von NLP (Neurolinguistischem Programmieren) ist, heißt dies „Konfusionstechnik“: Verwirrte Menschen versuchen, Ordnung in ihre Gedanken zu bekommen, damit ist ihre Aufmerksamkeit auf Kontrolle des Außengeschehens vermindert und dies fördert innere Veränderungen, weil sich die gewohnten Grenzen lockern.

Sprache hat Suggestivkraft – nicht nur inhaltlich kognitiv (indem etwas beispielsweise „definiert“ wird – etwa ein Kind als „schlimm“ oder ein mit seinem Programm erfolgreicher Politiker als „gescheitert“), sondern auch emotional, wenn damit geistige Bilder ausgelöst werden. Mir fällt auf, dass seit der jüngsten innenpolitischen „Dynamik“ überproportional häufig das Wort „sprengen“ verwendet wird – wie wenn es keine anderen Worte wie „beenden“, „auflösen“ etc. gäbe, vom „Sprengmeister“ ganz zu schweigen. Bei Jugendlichen fallen unbewusst nachgesprochene und meist völlig unpassende stereotype Worte wie derzeit z. B. „effektiv“ auf und nerven; dort wo sie gezielt eingesetzt werden wie etwa „Wow, das ist schlau!“ in der Werbung, besteht die Gefahr, dass sie sich in unsere Ohren „würmen“ und diese Wahrnehmungsgänge verstopfen. Und dann können wir nicht mehr „das Gras wachsen hören“.