Es ist für mich oft enttäuschend, wenn ich wie gestern ein langes Interview gebe (für Servus TV zum Martyrium der entführten, misshandelten und vergewaltigten Frau im Waldviertel) und dann wird keiner der Sätze gebracht, die mir wichtig gewesen wären … und heute lese ich im Kurier, dass der Bezirkshauptmann von Scheibbs, wohin der nunmehr in Untersuchungshaft Genommene und mehrfach einschlägig Vorbestrafte die Gepeinigte gebracht haben soll (die Beweisaufnahmen sind ja noch nicht abgeschlossen), meint: „Selbst wenn man solche Infos hat, wie hätte man diesen Fall verhindern können?“

Diese Frage kann und will ich nochmals beantworten: Polizei wie auch Gericht haben eine Fülle von Maßnahmen zur Verfügung (und zur Vereinbarung), wie sie bei Kenntnis von Straftaten vorgehen können. Welche sie wählen, hängt von ihren Einschätzungen ab und die wiederum von eigenen biographischen Erfahrungen (unvoreingenommene Neutralität gibt es nicht — sie muss immer erst erarbeitet werden! Vor allem wenn es um die sogenannten Sexualdelikte geht, denn die Erlebniswelt von Frauen ist eine andere, als die von Männern!), dem „Zeitgeist“ (was als strafbar bezeichnet — und dann gelegentlich verfolgt wird — das kann sich total ändern!), regionalen Gegebenheiten (z. B. Nachbarn oder ehemalige Schulkollegen als Täter, denen man „so was nicht zutraut“) aber auch politischen Entscheidungen. Politik gibt es ja nicht nur in Regierungen „an der Spitze“, sondern auch in jeder Familie oder Firma.

Zu den regionalen Gegebenheiten zählt vor allem — Angst.

Ich habe unzählige Menschen beraten, die nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie bedroht, behindert, auch massiv belastet wurden und damit rechnen mussten, dass die „asoziale“ Person „am längeren Ast“ säße und sie und ihre Familienangehörigen nur Schwierigkeiten bekämen. (Asozial verwende ich in dem Sinn, dass sich jemand nicht an die Gesetze halten will, obwohl er es könnte, also nicht kognitiv eingeschränkt ist.)

Ich kenne unzählige Fälle, wo Gewalt in der Familie von einem Funktionsträger ausgeht, wo Funktionsträger sexuelle Übergriffe tätigen, wo Betrunkene in ihren Heimatorten wild herumkutschieren — und Protestierende bei der Suche nach Abstellung dieser Missstände abgewimmelt werden. Genau deswegen halte ich regelmäßig Workshops und Seminare „für die Basis“ ab — also nicht nur für Fachleute, die das aber auch brauchen (Termine auf www.perner.info bzw. www.salutogenese.or.at): Es braucht Präventivwissen vor Ort und sogleich, wenn ein Verdacht oder eine Beobachtung auftritt — und eine korrekte Kommunikationsform, wie man das an- und ausspricht. In jeder Gemeinde sollte es mindestens ein oder zwei Personen mit diesem multidisziplinären Fachwissen geben. (Multidisziplinär, weil man Kenntnisse mehrerer Berufe zusammenfügen muss; deswegen habe ich ja auch so viele gelernt — und vielfach Spott dafür geerntet, statt dass man mich gefragt hätte, weshalb ich mir die Mühe angetan habe). Vor allem aber sollten PolizistInnen und RichterInnen dieses Fachwissen haben.

Die Leute schauen nicht weg, trotz ihrer Ahnungen, weil sie feig sind, sondern weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen — und das macht Angst, und Angst ist immer ein Schutzfaktor. Angstmachen hingegen ist ein Machtfaktor. Dem muss man „etwas“ entgegen setzen — und dieses Etwas muss erst in seinen vielen kleinen Bausteinen verdeutlicht und nachvollziehbar gemacht werden.