Dass man niemand eines strafrechtlich verpönten (von lat. poena, Strafe) Verhaltens zeihen darf, lernt man im Journalismus in der ersten Arbeitsstunde – und eigentlich sollte niemand seine Schulpflicht absolvieren, ohne das auch dort gelernt zu haben. Beispielsweise im Geschichtsunterricht (statt primär Schlachten und Friedensschlüsse).

Überhaupt wäre der Lehrplan zu entrümpeln und den zeitgemäßen Anforderungen anzupassen. Deshalb plädiere ich (bin ja promovierte Juristin) dort Rechtsgeschichte samt soziologischen und psychologischen Hintergründen zu thematisieren. Als ich noch Führungskraft in den Jugendzentren der Stadt Wien war (1977/78–1986), gab es in manchen Zentren quasi „Nachhilfe“-Veranstaltungen mit jungen Polizisten (Frauen gab es damals noch keine bei der Polizei), die den Jugendlichen „locker“ beispielsweise erklärten, dass Nummerntafeln auf Mopeds Dokumente sind und weshalb man sein Moped nicht auffrisieren darf.

Auch im Deutschunterricht wäre es sehr wichtig, klar (und möglichst gewaltverzichtend! „gewaltfrei“ hingegen ist eine PR-Illusion!) formulieren zu lernen.

So hieß es gestern (03.04.2021) in der Zeit im Bild um 19.30 Uhr, der Präsident des Behindertenrates sei „bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt“. Auch der KURIER von heute übernahm diese Formulierung. Sie ist eine Verschleierung der schockierenden Tatsachen: Herbert Pichler wurde getötet, als er gegen 4.15 Uhr aus seinem Auto gestiegen war. „Ein 33jähriger soll gegen die Tür gefahren sein und Pichler erfasst haben.“ Dies ist eine korrekte Formulierung unter Beachtung der sogenannten Unschuldsvermutung. Aber das ist kein Verkehrsunfall – für den 57jährigen Toten. Es begünstigt den mutmaßlichen 33jährigen Töter, der, „nach ersten Erhebungen“ ohne Führerschein (das besagt nichts – er könnte, so er einen besitzt, auch daheim vergessen haben) „aber unter Drogeneinfluss gefahren sein“ soll. (Kurier, 04.04.2021, S. 23.) Er müsste wegen grob fahrlässiger Tötung (§ 81 StGB (Strafgesetzbuch), Grob fahrlässige Tötung – JUSLINE Österreich) angeklagt werden – und würde, so er bislang unbescholten war, wahrscheinlich ein mildes (bedingtes) Urteil erhalten (besonders, wenn er glaubhaft macht, sofort einen Drogen-Entzug begonnen zu haben).

Was mich stört, sind die verschleiernden Formulierungen – nicht nur der Titelzeile. Sie lässt den Respekt vor dem Getöteten (nicht „Toten“!) vermissen.  Denn eine Formulierung „saß in seinem abgestellten Wagen und hatte die Autotür geöffnet“, wie auch, der Fahrende „soll gegen die Tür gefahren sein und Pichler erfasst haben. Dieser wurde schwer verletzt und starb an der Unfallstelle“ entbehrt jeder Logik. Wäre Pichler bloß in seinem Wagen gesessen, wäre nur die Autotür „à la ,Kottan ermittelt‘“ zu Schaden gegangen – und eventuell seine Beine verletzt worden. Aber wenn sich ein Mensch mit schweren Körperbehinderungen aus seinem Auto heraus bewegt, und dann mit vermutlich hoher Geschwindigkeit angefahren wird, befindet sich der ganze Körper ungeschützt draußen.

Im Gedenken an der hoch verdienstvollen Herbert Pichler erhebe ich folgende Forderungen:

  • Verpflichtende Anatomie-Schulungen für JournalistInnen wie auch PolizistInnen und Besuche in den Einrichtungen der AUVA (in denen ich z. B. jahrelang arbeiten konnte).
  • Entwicklung eines „social design“ für Lichtsignale bei Dunkelheit (und akustischer bei Tageslicht? Wie bei den Lastkraftwagen!), wenn jemand aus einem Behinderungs-gerechten Fahrzeug aussteigen will (auch wenn das gegen „devil driver“ wenig bewirken wird – aber es vermindert die Neigung zu verharmlosenden Gerichtsurteilen).
  • Und als langjährige Univ. Prof. für Gesundheitskommunikation: Fortbildungen in gewaltverzichtender Kommunikation für JournalistInnen – beispielsweise durch den Behindertenrat. Ich empfehle dazu Mag. Dorothea Brozek – sie hat bei mir die Lebensberaterausbildung absolviert. (Übrigens: ich werde heuer ab Sommer / Herbst wieder unterrichten – so ich nächste Woche die Covid-Impfung gut überstehe.)

Und ich wünsche mir vom ORF sehr schnell eine Würdigung Herbert Pichlers – inmitten der übermäßig dominierenden Nachrufe auf Hugo Portisch – denn das ehrt nicht nur eine privilegierte Einzelperson, sondern einen Vertreter einer diskriminierten Minderheit (der wir alle einst angehören könnten …).