Manche Leute können sich nicht vorstellen, dass jemand die Wahrheit sagt, wenn diese nicht in ihr Repertoire an Vorurteilen passt. In der Psychoanalyse nennt man es Projektion – eine Abwehrform – wenn eigene Denkweisen anderen unterstellt werden. Der Mechanismus spielt sich so ab: Man hört etwas (oder sieht etwas) und es drängt sich ein geistiges Bild auf (das meist aus Filmen oder gezielten „Erziehungsinhalten“ stammt), und das man für die Entschlüsselung hält. Davon profitieren Heiratsschwindler, männlich wie auch weiblich, die jemand Selbstunsicheren „große Liebe“ vorspielen – und von Dankbarkeits-Gefühlen überflutet setzt deren rationelles Denkvermögen aus.

Wenn sich dann jemand nicht mehr daran erinnern kann, wie das abgelaufen ist, kann das als Verleugnung oder Verdrängung klassifiziert werden. Beides sind ebenfalls Abwehrformen (es gibt noch viele mehr). In der Verleugnung wird der Erinnerungsteil vor sich selbst abgestritten, für den man sich schämen müsste – weil man etwa einen Fehler gemacht hat oder auf sonst eine Weise das Idealbild von sich selbst beschädigt hat. Insgeheim weiß man um seine Betroffenheit, spürt den Adrenalinstoß der Scham – und argumentiert, unterstellt (projiziert) gegen objektiv erkennbare „andere“ Wahrheiten. Dagegen anzukämpfen ist meist sinnlos (wenn man nicht eine Vielzahl kompetenter Zeugen vorweisen kann), denn „gepanzerte“ Menschen sind wie Granitfelsen, bar jeder Rührung bewegen sie sich keinen Millimeter. Sie haben nicht gelernt, dass sie damit nicht nur die Wahrnehmung und Gesundheit der anderen schädigen, sondern auch die eigene.

Nicht gepanzerte Menschen hingen reagieren meist überrascht „So hab ich das nicht gesehen“ oder auch misstrauisch „Woran kann ich erkennen, dass Ihre Sichtweise stimmt?“ oder schweigen und warten ab …

Verdrängung – auch eine Abwehrform – besteht hingegen darin, dass das Erleben gesamt aus dem Bewusstsein und der Erinnerung „gelöscht“ wurde. Es ist im Gedächtnis verschwunden und unauffindbar, wie wenn es das nie gegeben hätte, kann aber plötzlich wieder auftauchen, wenn ein spezieller Auslösereiz die Neurosignatur belebt, die in der „Urszene“ (als das Unerträgliche erlebt wurde) gebildet und quasi gleichzeitig „totgestellt“ wurde. Solch ein „Trigger“ kann eine Melodie sein, ein Geruch, ein Blick … was auch immer. Es gibt hypnotherapeutische Techniken, mit denen man sehr schnell in diese Tiefen der Seele Einblick bekommen (und das Nervengeflecht verändern) kann, und oft zeigt sich dann, dass die „Störung“ gar nicht dem Vorurteil entspricht, das die, die sich von jemand gestört fühlen, als Ursache angenommen haben.

So habe ich einmal einen wegen sexueller Übergriffe verurteilten Mann betreut, der unschuldig ins Gefängnis musste, obwohl sich die Schwestern, die ihn belastet hatten, in den kontradiktorischen Vernehmungen in Widersprüche verwickelt hatten. Sowohl der begutachtende Psychiater als auch die Sozialarbeiterin vom Verein Neustart (vormals Bewährungshilfe), beide ohne hypnotherapeutische Ausbildung, behaupteten, der Mann hätte eben „verdrängt“ (eine psychoanalytische Diagnose, die erst nach etlichen Stunden Psychotherapie gestellt werden darf und nicht „Daumen mal pi“! in einem Einzelgespräch). Ich kenne solche Aussagen auch von meinen Juristen-Kollegen, deshalb habe ich mich in meinen Vorlesungen am Institut für Arbeits- und Sozialrecht auch bemüht, den Studierenden diese „Differentialdiagnosen“ zu erklären. Es braucht menschliche Größe zuzugeben, dass man nichts gefunden hat.

Alle Abwehrformen deuten darauf hin, dass ein Seeleninhalt ins Bewusstsein steigen will, der einem unangenehm, unwillkommen, unerträglich ist. In der psychoanalytischen Therapie ist eines der Ziele, so stark zu werden, dass man seine „Schattenseiten“ aushält – und dass daher alles ausgesprochen und in Ruhe überdacht werden kann. Insofern ist es nicht gesundheitsfördernd, jemand zu verbieten, seine Gedanken, Gefühle, Phantasien nicht aussprechen zu dürfen. Kommt solch ein Verbot von jemand aus einem Helferberuf, ist es ein arger Kunstfehler. (Bei einem Coach kann es hingegen Aufzeigen von Strategien sein – aber die müssen dann erklärt werden!) Richtiger wäre es für die Helfer, zu üben, WIE man OBJEKTIV (also für die große Mehrheit, nicht bloß subjektiv für einen selbst) heikle Seeleninhalte präzise formulieren kann – ein bislang fehlender Pflichtinhalt ihrer Ausbildungen! (In meiner eigenen Akademie unterrichte ich das unter dem Titel „Gesprächsmedizin“ s. www.salutogenese.or.at).