Da las ich doch unlängst in der Zeitung Österreich (11.08., S. 11), in Texas habe sich ein Mann in einem Restaurant aufgeregt, weil eine Mutter „öffentlich“ ihr Baby gestillt hatte. Sie solle sich gefälligst bedecken, habe er verlangt – und darauf hatte diese ihr Haupt verhüllt – wie das Belegfoto zeigte, das ihr Partner ins Internet gestellt hatte.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass es in den späten 1970er Jahren meist eine Generation ältere Frauen waren, die sich gegen Stillen in der Öffentlichkeit lautstark empört hatten – die Mütter sollten sich doch diskret auf die Toilette zurückziehen. Wie wenn das der passende Ort wäre, einem Baby Mutterliebe zu vermitteln! Damals wurde die La Leche Liga in Österreich gegründet (www.lalecheliga.at), die sich aktiv fürs Stillen engagierte: Babynahrung immer und überall verfügbar, immer in der richtigen Temperatur und – kostenlos, daher kritisch beäugt von all den Pharmariesen, die Muttermilchersatzprodukte in ihrem Programm hatten.

Manche Frauen wichen damals der verbalen Gewalt und zogen sich ein Tuch über Schulter und Babys Kopf. Damit wird aber schon dem Säugling nonverbal vermittelt, dass an Mutters Brust zu saugen „nicht OK“ ist. Möglicherweise ist das auch die Wurzel der späteren Aufregung: Dass ein Winzling etwas „darf“, was einem selbst versagt wurde.

Es gibt aber noch eine weitere Wurzel, weswegen sich manche Frauen so aufregten: Immer wieder konnte ich beobachten, wie Männer verstohlen auf fremde Brüste blickten, wenn sie zum Stillen „ausgepackt“ wurden. Solch ein Anblick war damals, als „oben-ohne-Baden“ noch nicht freigegeben war, Seltenheit. Wenn sich jemand extrem aufregt, ohne dass er oder sie persönlich angegriffen wurde, kann aus tiefenpsychologischer Sicht vermutet werden, dass er oder sie damit eigene Gelüste abwehrt. So eines kann der eigene Drang zum Exhibieren sein – oder aber ein Begehren, aggressiv zuzupacken, in sexueller Gier oder in Straflust.

Nur bei einer Darstellung der stillenden Madonna mit Jesuskindlein regt sich kaum wer auf … und wenn sich einer doch „erregt“, wird er sich wohl als Kunstkenner tarnen.

Der hoch verdienstvolle Kinderarzt und Universitätsprofessor Hans Czermak (1913–1989) sammelte Bilder stillender Frauen. Ab und zu konnte er sie (teilweise) ausstellen. Ich war oft dabei … ich durfte ja mit ihm jahrelang im Preyer’schen Kinderspital zusammenarbeiten. Als er schon todkrank war, suchte er nach einer Institution, die seine Sammlung übernehmen wollte. Vergebens. Was wohl daraus geworden ist?