„Der Verstand ist dem Menschen gegeben, damit er ihn benutzt.“, erinnerte der berühmte britische Philosoph John Stuart Mill (1806–1873) in „On Liberty“(„Über die Freiheit“, S. 31). Vor allem sollte man ihn benutzen, wenn man spricht. Reden ist keine Routinearbeit. Schauspieler übern wochenlang um den „richtigen Ton“ zu treffen – und aufmerksame Kleinkinder üben ebenso, die richtige Aussprache zu beherrschen. Das setzt allerdings voraus, dass sie Bezugspersonen haben, die selbst nicht nur Dialekt sprechen und auch den Mut und die Liebe besitzen, Fehlaussprachen freundlich (!) zu korrigieren. Wenn man Kinder ordinär anbrüllt, lernen sie nur ordinär zu brüllen.

Wir wählen die Worte und den Tonfall und komponieren damit quasi unsere höchstpersönliche Seelenmusik genauso wie mit Noten und Tempobezeichnungen der gewünschte Minimalausdruck angezeichnet wird – und wir entscheiden damit, welche Botschaft wir anderen mitteilen wollen: Wertschätzung und Schadensvermeidung oder Missachtung und Beschädigung. Es ist eine Frage der Ethik, wofür man sich entscheidet – was für ein Mensch man sein will, ein guter oder ein böser. (Ob und weshalb es einem dann trotz Bemühens nicht immer gelingt, ist eine andere Frage.)

Derzeit scheint es ein Volkssport zu werden, mit oder ohne Anonymitätsschutz gebündelten Hass auf andere loszulassen – nicht nur in Postings auf Zeitungsartikel sondern auch direkt. Waren es in den 1990er Jahren vor allem neidische bzw. ängstliche Konkurrenten, die sich in Hasskampagnen gegen „Popanze, die sie schufen, um dann auf sie hinhauen zu können“Peter Huemer) austobten, sind es heute Unbeteiligte, die sich auf diese Weise die von Andy Warhol vorhergesagte Sehnsucht nach „15 Minuten Ruhm“ organisieren wollen. Es liegt an jedem von uns, ob wir darauf eingehen – antworten, d. h. Aufmerksamkeit spenden oder gar mit Likes verstärken – wollen oder einfach „Energie sparen“.