Zuerst ein Bekenntnis: Ich trage keine Sneakers, ich gehe bevorzugt barfuß oder in Stiefeln – und hege meine Altbestände, selbst produziertes Vintage (meine ältesten Schuhe stammen wohlgepflegt aus 1956 – ich bin seit damals nicht mehr gewachsen) und kaufe nur bei Zerfall. Ich schreibe also nicht „pro domo“.

Mich irritiert allerdings, dass so viele KommentatorInnen dem Schuhwerk des neuen Gesundheitsministers ein Statement oder einen Code unterstellen, wie die gelernte Volksschullehrerein und selbsternannte Machtexpertin Bauer-Jelinek oder die Modehistorikerin Vinken (Kurier, 25.04.2021, S. 8). Ich erinnere mich an eine Teilnehmerin an einem Bauer-Jelinek-Macht-Seminar, die mir empört berichtete, dass diese mit Ausschnitten aus Versandhauskatalogen den Frauen einreden wollte, wie sie sich „machtkompetent“ zu kleiden hätten – nämlich genau so, wie es den sozialdemokratischen Politikerinnen der 1970er und 1980er Jahre Spott von der konservativen Seite einbrachte: dunkles Kostüm, weiße Oberteile, Brosche links oder alternativ schmale Perlenkette. Quasi Tarnanzüge, um in den Reihen der Männer im grauen Flanell nicht aufzufallen.

In ihrem Bestseller „The Princessa“ (1997) erinnerte die amerikanische Verlegerin Harriet Rubin daran, dass Jeanne d‘Arc in ihren Schlachten Weiß trug, auch um groß und mächtig zu erscheinen; in einem späteren Interview in der Zeitung Standard betonte sie noch einmal, dass Frauen sich in ihrer Kleidung nicht den traditionellen Männer-Dresscodes anpassen sollten, weil sie sich dadurch als unterwerfungsbereit (oder mit dem neuen Modewort „steuerbar“) definieren würden. Aber wie sehen die aus? Man braucht sich nur deren Uniformen im Zeitablauf anzusehen – und wie der Pomp mit zunehmendem Aufstieg in den jeweiligen Hierarchien (Kirchen mitgemeint) anwuchs.

Kleidermoden haben sich immer verändert – ebenso wie auch die Sprachen (das nur nebstbei zum Gendern angemerkt). Je gebildeter jemand ist, desto mehr wird er oder sie wissen, wie sehr damit versucht wird, Angst vor Beschämung und präventiv Unterwerfung hervorzurufen. Echte „Souveräns“ stehen aber über diesem Niveau: Es zählt zu den Erziehungsmaßnahmen der „Schwarzen Pädagogik“ aus Kindheit und Jugend (und den Ursachen von Sozialphobien) und sollte spätestens mit Ende der Schulzeit überwunden sein.

Ja, auch für mich war Sigrid Maurer vor Gericht im dunklen Outfit mit weißen Sneakers ein ungewohnter Anblick – aber warum nicht? Sicher gesünder als all die Stöckelschuhe. Ich erinnere mich mit Scham, dass ich einst eine Kollegin kritisiert hatte, die bei der Verabschiedung unserer Chefin – Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner – im Irma-la Douce-Outfit (schwarze Lederjacke, schwarzer Minirock, schwarze Netzstrümpfe, schwarze Boots) erschien. Eine andere Kollegin klärte mich nämlich auf: Das sei ihr schönstes Gewand.

Ich denke: Mit der Kritik an den Sneakers des neuen Gesundheitsministers werden gleichzeitig alle anderen diskriminiert, dies sich generell für gesünderes Schuhwerk entscheiden – und auch all diejenigen, die es nicht notwendig haben, sich bereits durch ihre Kleidung optisch über „das gemeine Volk“ zu überheben.

Ich wünschte mir daher Sneakers als Zeichen der Solidarität – nicht nur gegenüber dem Kollegen, sondern auch allen Sneakers-TrägerInnen – gelegentlich offiziell bei allen Regierungsmitgliedern.