„Verteidiger Stefan Harg verwies auf die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und dessen tiefe Kränkung durch den Behördenvertreter“ (Der Standard, 23. 01. 2020, S. 10), weswegen der Dornbirner Amtsleiter sterben musste. In den Salzburger Nachrichten vom 21. 1. (Seite 8) wird der Angeklagte mit den Worten zitiert, er habe lediglich „von Mensch zu Mensch“ mit dem Sozialamtsleiter sprechen wollen, und der hätte nur „nett sein müssen“.

Mit „nett“ meinte der – wie berichtet perfekt Hochdeutsch sprechende – bereits in Vorarlberg geborene Austrotürke wohl „respektvoll“, und da hapert es bei vielen Amtspersonen. Denn selbst wenn sie auf Schimpfworte verzichten, kommt doch die Geisteshaltung zum Durchbruch, die verdeutlicht, was man von seinem Gegenüber hält. Deswegen sind Kommunikationsschulungen für Beamt*innen so wichtig – denn wenn eine Situation immer stärker emotionalisiert abläuft, hat kaum jemand Untrainierter Zeit, sich alternative Worte oder auch andere Verhaltensweisen zu überlegen. Man braucht bereits ein vorgefertigtes Repertoire – und das kann man sich auch selbst erarbeiten, wenn man die „Technik“ dazu kennt. In der von mir entwickelten PROvokativpädagogik / PROvokativmethodik (so der Titel meines Buches dazu, bestellbar über aaptos@perner.info) zeige ich: entweder mit Humor (was im konkreten Fall wohl nicht gepasst hätte) oder eben sehr ernsthaft und respektvoll.

In den Medien wurde von einer tiefgreifenden Kränkung des (nunmehr in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteilten) Angeklagten berichtet – vermutlich im Gefolge des psychiatrischen Gutachtens (immerhin hat Reinhard Haller ein diesbezügliches Buch geschrieben, „Die Macht der Kränkung“). Ich bevorzuge eine andere – meiner Ansicht nach zutreffendere – Formulierung: Verletzung der Selbstachtung bzw. des Selbstwertgefühls. Wenn man einen Menschen immer wieder oder auch nur einmal, dafür aber massivst, abwertet, folgt zumeist höchste Aggression oder tiefste Depression (d. h. die Aggression wendet sich gegen einen selbst).

Ich habe bei all denjenigen Fällen von lebensgefährlichen Angriffen, mit denen ich als Juristin wie auch als Sozialtherapeutin oder Psychotherapeutin konfrontiert war (vor allem auch diejenigen im Schulbereich!), solch eine „dialektische“ Eskalation festgestellt. Sie wäre immer vermeidbar gewesen, wenn die Emotion der späteren Angreifer als „nachvollziehbar“ oder „verstehbar“ gedeutet worden wäre – was nicht bedeutet, dass man deren Begehren hätte nachgeben müssen. Aber leider erkennen viele Menschen nicht, wie sie sich selbst durch Emotionen „anstecken“ lassen und damit ihr Vernunftdenken verkleinern … oder aber auch eine – nur eben noch nicht „diagnostizierte“ – „Persönlichkeitsstörung“ aufweisen (wie viele!). Mehr dazu im nächsten Brief.