Im Zusammenhang mit der „abgeschlossenen“ Familie in Ruinerwold – was für ein Name, wenn man in deutscher Sprache denkt! – tauchen Hinweise auf, dass es sich um Angehörige einer „Sekte“ handeln dürfte. Zumindest gab es in der Vergangenheit Berührungspunkte bei den beiden hauptverdächtigen Angehörigen, denen vorgeworfen wird, die Kinder bzw. Jugendlichen illegal von der „Welt da draußen“ abgesondert zu haben.

Das Wort Sekte stammt vom lateinischen secta und bedeutet  eine abgespaltene Gruppierung. Dazu sollte man sich erinnern: Auch die Urchristen galten als Sekte – der jüdischen Religion abtrünnig – und ebenso wurden die verschiedenen protestantischen, d. h. nur der Bibel und nicht den Interpretationen der Kirchenväter-Gläubigen, als „secta Lutherana“ abschätzig bezeichnet. Man kann es als üblichen Entwicklungsweg betrachten, dass sich immer wieder spätere „Führer“ von dominierenden Denk- und Seinsweisen trennen, egal ob es sich dabei um religiöse, politische oder wissenschaftliche (z. B. gesundheitswissenschaftliche wie bei der Ernährung) handelt. Oft sind die inhaltlichen Grenzen sehr verschwommen wie beispielsweise bei Scientology, das ja oft auch als „Psychosekte“ tituliert wird, sich aber immer wieder vehement um Anerkennung als „Kirche“ bemüht (denn das bringt steuerliche Vorteile). Von dieser Art „Sekten“ gibt es einige und oft ist nur die Art, wie sie ihre Finanzen aufbringen, der Unterschied: Viele veranstalten Seminare zur Persönlichkeitsvervollkommnung, manche erzeugen besondere Waren, manche schicken die weiblichen Mitglieder in die Prostitution und manche bleiben beim altbewährten Spendensammeln.

In der sogenannten Mühl-Kommune im Burgenland (nach dem ehemaligen Zeichenprofessor Otto Mühl, 1926–2013, der sich später Muehl nannte), von ihm gegründet 1970, nach Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und Strafverfahren gegen ihn ab 1988 aufgelöst, gab es beispielsweise nebst ihren darstellerischen und bildnerischen Kunstwerken und pseudopsychologischen Angeboten u. a. eine sehr aktive professionelle Tischler-Gruppe. Wer Mitglied werden wollte, musste wie bei einem religiösen Orden zur Zeit des Mittelalters „einkaufen“ und dazu sein triviales („Spießer“-) Hab und Gut veräußern.

Nach Margaret Thaler Singer („Sekten“) zeichnen sich derartige Gruppierungen durch einen dominanten Führer (selten Führerin, denken wir etwa an „Uriella“), ein deutliches Machtungleichgewicht zwischen ihm und seinen Anhängern und den systematischen Einsatz von Suggestivtechniken aus.

Was mir ergänzend zu betonen wichtig ist: Nicht alle sind „totale Institutionen“ (Erving Goffman) – bei diesen kann man nicht eigenbestimmt hinein und schon gar nicht heraus kommen – da nicht immer alle gemeinsam wohnen und leben. Was sie verbindet ist ein gemeinsamer „Glaube“, deswegen sind Außenkontakte zu „Ungläubigen“ nur dort toleriert, wo es um Anwerbung neuer Mitglieder geht. Ähnlich streng sind da aber auch manche gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften wie etwa Jehovas Zeugen (seit 2009 anerkannt), wie ich aus der Begleitung Ausgestiegener oder Aussteigwilliger weiß. Und: Einen elitären Zug als „Wissende“ haben alle – wie aber auch Studienzirkel, Geheimgesellschaften oder Fan-Clubs etc. Und: Sich selbst verbessern zu wollen, ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes (solange andere nicht abgewertet / abgewehrt werden).

Auch wenn  manches Angst macht (wie beispielsweise die Weltuntergangserwartung – aber auf die vertrauten die Urchristen auch!), gilt es, Seinsweisen grundsätzlich zu respektieren, solange sie nicht Gesetzesbruch beinhalten. Deswegen rate ich immer, auf Etikettierungen wie Sektenanhänger oder gar Sektierer zu verzichten: Sie fixieren andere Menschen auf Verhalten (denn das bedeutet noch lange nicht permanente Praktik von Glaubenssätzen) in Augenblicken, nicht aber 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Besser ist es, unerwünschtes Verhalten so präzise und gleichzeitig respektvoll wie möglich anzusprechen, „weil es einem Sorge macht“ – um mögliche Folgen nämlich, und auf Abwertungen und Befehle zu verzichten, damit die Kommunikation nicht abreißt. Denn genau das ist es, was dazu führt, dass man nachher sagt, „Ja wenn man das gewusst hätte, dann hätte man …“