Als ich vor wenigen Tagen mein letztes Buch „Das Schweigen der Hirten – Kirche und sexuelle Grenzüberschreitungen“ einer interessierten Kolleg:innenschaft vorstellen durfte, in dem es um die vielen Formen des Schweigens wie auch – hochaktuell! – des Vertuschens geht, entwickelte sich danach eine intensive Diskussion über Homosexualität, Pädophilie, die Attraktivität pädagogischer Berufe für diese Personengruppen und ob der Zölibat „schuld“ daran sei, dass es im kirchlichen Bereich so viele sexuelle Übergriffe auf Kinder gäbe bzw. gab.

Ich war froh, gerade in unserer Berufsgruppe klar stellen zu können, dass die Hauptgruppe der Täter bei sexueller Ausbeutung von Kindern immer noch in den Familien zu finden sei, und, wie ich im Buch ausführlich darlege, Pädophilie (Neigung, Schwärmerei), Pädosexualität (eine sexuelle „Vorliebe“ oder Fixierung) und Pädokriminalität (Vermarktung von – nur als grober Überbegriff gemeint – pädosexuellen Darstellungen) voneinander unterschieden werden müssen, auch wenn sie in der Biographie einer Person (nebst anderen Besonderheiten) verbunden auftreten sollten.

Was mir aber wert schien, mich ausführlich damit zu befassen, war die – oft nur als Machtmittel „in Beziehung“, in der Sache jedoch unpassende Verwendung des Wortes „Schuld“.

Im juristischen, d. h. „linearen“ Denken „von A zu B“ und umkehrt (im Gegensatz zum „komplexen“ Denken, in dem möglichst alles berücksichtigt wird, was im Augenblick, zu einem bestimmten Verhalten geführt hat –  also nicht nur das, was sich aus der „linearen“ Vergangenheitsüberprüfung nachweisen oder „linearen“ Zukunftssicht vermuten lässt), wird geprüft, wer für ein Geschehnis „Schuld“ hat und bestraft werden und/oder Schadenersatz leisten soll. Da geht es also um „Schulden-Tilgung“, nicht nur finanzielle, sondern auch soziale an die Gemeinschaft mit deren „Spielregeln“.

Aus komplexer Sicht – und die umfasst Sichtweisen aus mehreren, daher verschiedenen Berufs-Blickwinkeln – ist für mich die Frage nach Schuld und Verantwortung eine, die zu Gericht (oder in den Beichtstuhl) gehört – überall anderswo geht es um Ursachen und Auslösereize, oder, wie ein Buchtitel des deutschen Psychiaters und Systemischen Psychotherapeuten Helm Stierlin (1926–2021) lautet: „Das Tun des einen ist das Tun des Anderen“.

Solch ein Auslösereiz ist meist der Tonfall, in dem jemandem Schuldgefühle gemacht werden – und die sind deutlich von echter Schuld (Absicht und Fahrlässigkeit) zu unterscheiden.

Viel Streit entsteht unnötigerweise dadurch, dass jemandem Schuldgefühle eingeredet werden (in der Hoffnung, dass darauf Reue folgt und man Buße, vielleicht sogar Bußgelder, einfordern kann), anstatt dass man ihn oder sie auffordert, Verantwortung für sein/ihr Verhalten zu übernehmen.

Der Mechanismus des Schuldgefühle-Machens lautet mit Droh-Ton „Du bist schuld, dass es mir/uns so schlecht geht!“ (Jammer-Ton reicht meist nicht!) Angedroht wird damit emotionale Abwendung, sprich Zuwendungs-Entzug.

Das gibt es auch in der Politik: Da heißt es dann „Ihr seid schuld, dass es Österreich so schlecht geht!“ und wer mit solchen Sätzen erzogen wurde und sich den Autoritätspersonen der frühen Kindheit aus Schuldgefühl „brav angepasst“ unterworfen hat, wird in diesem Verhaltensmuster reagieren – oder, wenn die Selbstachtung noch nicht ruiniert wurde, protestieren … und ist dann wiederum „schuld“, dass der soziale Friede gestört wurde. (Einer Klientin von mir warf der Vater immer vor, sie sei nicht „kooperativ“, wenn sie nicht tat, was er wollte!)

In solchen Fällen empfiehlt sich die Frage „Wie konkret habe ich das gemacht?“ Dann müssen die Anklagenden ihre „Indizien“ klarlegen – und beweisen! Gelingt das nicht, ist das Ziel, den anderen zu verunsichern (oder vor Publikum, z. B. der Geschwisterriege) schlecht zu machen, offensichtlich – gelingt es aber, kann man Verantwortung übernehmen und Wiedergutmachung vereinbaren.