Halt! Gewalt!

Es gibt sie nicht nur in der hohen Politik – aber Politik ist es immer, wenn jemand angepatzt werden soll.

Von Carl von Clausewitz (1780–1831) stammt der Satz, Krieg sei Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln – man kann den Satz aber auch umdrehen: Politik kann zu Krieg mit anderen Mittel ausufern, dann nämlich, wenn  man jemand anderen schwächen oder vernichten will. Manche Menschen sind sehr erfinderisch, wenn es gilt, jemand anderem fundamental zu schaden – denken wir nur an Jago, der sich listig ein Taschentüchlein Desdemonas erschleicht, um ihren Gatten Othello in Eifersuchtsraserei und Gattenmord zu hetzen. Oder denken wir an den boshaften Basilio in Rossinis „Barbier von Sevilla“, der sein Expertenwissen kundtut indem er singt „Die Verleumdung, sie ist ein Lüftchen … kaum vernehmbar im Entstehen …immer näher, immer näher kommt es her …“ bis es stark wird „wie das Brüllen von Kanonen“ mit dem schlussendlichen Effekt: „… und der Arme muss verzagen, den Verleumdung hat geschlagen – schuldlos geht er dann ermattet als ein Ehrenmann zu Grund …“

Derzeit fliegen diese Lüftchen als  Vorwürfe und Dementis durch die Luft und füllen die Tagespresse mit Erregungspotenzial. Wurde noch vor wenigen Wochen immer wieder das Wort „Streit“ zitiert, wo es sich doch nur um „Konflikte“,  „Uneinigkeiten“ oder „Diskussionsbedarf“ handelte (denn „streiten“ tun kleine Kinder in der Sandkiste, die sich anschreien während sie anderen Küberl oder Schauferl wegnehmen wollen, oder Eheleute, wenn sie einander einschüchtern wollen) wird jetzt die Formulierung „dirty campaigning“ strapaziert, wenn irgendjemandes Vergangenheit durchforstet wird (was ja legitim ist). Genau dort beginnt die ethische Herausforderung: mittun oder abwehren?

Die meisten Leute delektieren sich an angeblichen Fehlhandlungen anderer, flüstern die vermuteten und oft nicht beweisbaren Ungeheuerlichkeiten weiter und fühlen sich in keiner Weise verantwortlich, wenn aus dem kollektiven Anpinkeln eine mediale Mure erwachsen ist, in der Menschen ersticken können. (Dazu: Wir alle sind Medien – auch wir vermitteln Informationen!)

Wenn sich dann der Kanonendonner aber als nicht einmal heißes Lüftchen heraus stellt, folgt selten Einsicht, dass man sich eigentlich vom Dreckstrom hätte distanzieren sollen statt ihn mit anzutreiben. Das ist beim Bullying in der Schule so, beim Mobbing am Arbeitsplatz (Politik mitgemeint), aber auch beim hemmungslosen Phantasieren hinter dem Rücken von Personen, die man insgeheim beneidet.

Schon Baruch de Spinoza hat darauf hingewiesen, wie sehr wir uns oder andere durch unsere Phantasien schädigen – weil wir ohne Not Verwirrung stiften oder Leid zufügen. Deswegen sollten wir achtsam und kritisch sein, was wir aussprechen: Ist es wahr? Wirklich wahr? Können wir es vor Gericht beweisen? Ich – selbst vielfaches Opfer von Verleumdungen – bemühe mich dort, wo ich etwas nicht beweisen kann aber meinen Mund nicht halten will, präventiv „ich vermute“ oder „ich unterstelle“, „ich habe den Eindruck“ oder überhaupt „ich phantasiere, dass …“ zu sagen, damit klar ist, dass meine Behauptung noch nicht erwiesen ist, ich aber die Verantwortung für meine Worte übernehme.  Denn oft zählt es zur Zivilcourage, nicht zu schweigen – aber öfter ist es bloße Rachsucht, weil man sich jemand gegenüber unterlegen fühlt(e).

Wenn wir aber tatsächlich Unrecht entdeckt haben, sollten wir die dafür zuständigen Stellen informieren und abwarten, wie die Recht sprechen, und nicht als selbsternannte Laienrichter soziale Todesurteile verhängen.