Halt! Gewalt!

Man müsse Böhmermann in Aktion erlebt haben, dann wäre wohl klar, dass seine Erdogan-Schmähungen bloßer „Schmäh“ wären, sagte mir eine Freundin, und da ich nur das in der letzthin zitierten Boulevard-Zeitung kenne, wäre meine Kritik übertrieben – sehr wohl kritisieren müsse man aber den „Kniefall“ von Kanzlerin Merkel am gewünschten Helfer gegen den Flüchtlingsstrom.

Es stimmt schon: mit Hilfe von Mimik, Gestik und Tonfall kann man Botschaften eine ganz andere Bedeutung geben – dem stimme ich zu. Und dennoch: wann immer ich Worte aneinanderreihe, muss ich damit rechnen, dass sie auf Papier „materialisiert“ werden, quasi versteinert, und damit ihre Lebendigkeit – und damit ihre Veränderbarkeit – verlieren: dann kommt das unterschwellige Ziel der Botschaft klar zum Vorschein.

Satire, lese ich schnell in Wikipedia nach, ist eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Stilmittel dazu sei Parodie, Travestie oder Persiflage, als Tonfall wird Ironie, Spott und Sarkasmus, aber auch Pathos genannt. Von alledem fand ich in dem Text nichts, und genau das hätte ich mir von „Satire“ erwartet: dass das Denken der Person, die von ihr zu verantwortenden Ereignisse und Zustände kritisiert und angeprangert werden, Spott allerdings passt so ganz und gar nicht, finde ich, wenn so gravierende Menschenrechtsverletzungen passieren wie durch fundamentalistische Regimes und ihre Führungskräfte.

Das, was ich in dem Böhmermann-„Gedicht“ orte, zeigt sich, wohlwollend bewertet, als ulkige Blödelei, aber keine Satire. Abgedruckt wächst sie sich zum Freibrief aus: zum „Das alles darf man“. Und da widerspreche ich: man darf nicht alles dürfen dürfen – sonst wird und bleibt man unbedarft (das sind jetzt „Wortspielereien“), was bedeutet, leicht in die Irre zu führen.

Nach österreichischem Recht haben der „üblen Nachrede“ Beschuldigte die Möglichkeit, den Wahrheitsbeweis anzutreten. Den hatte ich angeboten, als ich 1991 von Ernest Borneman geklagt wurde, weil ich seine Fehlinterpretationen meiner wissenschaftlichen Expertisen zur sexuellen Ausbeutung von Kindern in einem Interview auf mögliche altersbedingte Lesefehler zurückgeführt und dabei das Wort „senil“ gebraucht hatte. Es war nicht meine Absicht, den alten Mann zu beleidigen – ich wollte auf Befragen hin eine Erklärung anbieten, weshalb er Zitate, die ich als solche ausgewiesen hatte, als meine Meinung verdammt hatte. Peter Huemer sagte mir damals: Er bastelt sich einen Popanz, damit er auf ihn hinhauen kann. Ich wurde in allen Instanzen freigesprochen – der Richter hielt mir politische, weil auf Sensibilisierung der Bevölkerung gerichtete und auch wissenschaftlich fundierte Aktion zugute.

Diese Reglung finde ich richtig: sie zwingt zu Ernsthaftigkeit, wenn man etwas kritisieren will – und auch zu ernsthafter Kunst, wie sie Johann Nestroy oder Karl Kraus praktizierten oder die vielen mutigen, todesmutigen Kabarettisten in den 1930er Jahren. Aber nur blödeln ist noch lange keine Kunst.