„Die Abwertung des Staates und der Politik haben direkte Konsequenzen für die politische Imagination.“, schreiben der Linzer Wirtschaftsprofessor Walter Ötsch und die streitbare Falter-Redakteurin Nina Horaczek in ihrem neuen Buch „Wir wollen unsere Zukunft zurück! Streitschrift für mehr Phantasie in der Politik“ (Westend Verlag, S. 61). Eine der Ursachen dafür ortet das Autorenduo im propagierten Bild einer „geteilten Welt“: „Auf der einen Seite steht der gute Markt, auf der anderen der böse Staat.“ (S. 60)
Haben wir doch genau jetzt – nur steht dem „bösen Staat“ eine angeblich gute Minderheit gegenüber, die sich als „das Volk“ wähnt – und das reale Volk schweigt. Dabei sind wir doch alle das Volk, das Staatsvolk nämlich, und daher auch der Staat. Wer Zeitgeschichte nicht miterlebt – und auch in der Schule nicht gelehrt bekommen hat – kennt vermutlich nicht die Geschichte des Jahres 1989 und die Entstehung des Slogans „Wir sind das Volk“ im Arbeitskreis Gerechtigkeit Leipzig (Wende und friedliche Revolution in der DDR – Wikipedia) – in einem Arbeitskreis, wohlgemerkt, was bedeutet: kein Gebrüll von anonymen Massen, sondern wohldurchdachter und mutig verantworteter Protest gegen das Terrorregime DDR.
Wenn etwas einmal geschehen ist, wird es auch nachgeahmt. Das ist der Fluch der Vor-Bilder, egal ob es „beworbene“ Bezugspersonen sind (wie Stars oder Lokalpolitiker) – Ötsch / Horaczek schreiben, Politik sei zu einem „Werbeberuf“ geworden, und der ziele nicht auf Dialog, sondern darauf, dass „die Kundschaft kaufe“ (S. 78 f.) – oder laufende Bilder in Film, TV oder Facebook.
Und genau deswegen brauche es auch eine neue Kultur des Sprechens, wissen Ötsch / Horaczek (S. 119). In meiner Studie 2019 „Bürgernähe im Zeitalter der Digitalisierung“ (nachlesbar auf www.salutogenese.or.at unter Forschung) ist genau dies auch gefordert worden: Mehr Möglichkeiten, sich mit Politikern sachpolitisch auszutauschen, nicht nur mit und im Dulliöh auf Volksfesten (samt der naheliegenden Gefahr von „Schnapsideen“).
Was kaum erkannt wird: Frei nach Marshall McLuhan „Das Medium ist die Botschaft“ zeigt sich die in einer parlamentarischen Demokratie kontraproduktive Botschaft des Zieles, den Staat und seine Organe kaputt zu machen, im Medium der Straßenkaperung, konkret: Marschieren („spazieren gehen“), Parolen skandieren und mit Bedrohlichkeiten der auf Toleranz verpflichteten Mehrheit den Raum zu nehmen. Und die lässt sich das gefallen.
Vorige Woche gab es solch eine Blockade auf der Gänserndorfer Hauptstraße – da hätte ich mir gewünscht, dass Andersdenkende vom Fenster aus mit „Schreibt ein Programm! Geht zu den Bundespolitikern!“ gegenprotestiert hätten – und das auch selbst getan hätten.
Die „Phantasie“ dieses wachsenden Straßen-Blockade-Terrors richtet sich nicht auf mehr Bemühungen um gemeinsame Problemlösungen in der Zukunft. Er orientiert sich „rückwärts“ – nämlich auf die 1920er und 1930er Jahre, nur dass die Imitation des damaligen SA-Terrors als „performances“ (angeblich spontan entstehende „Happenings“) verharmlost wird.
Übrigens: Das Buch von Ötsch / Horaczek wird am 24.02., 19 h, im Literaturhaus Wien, 1070, Seidengasse 13, präsentiert – Anmeldung unter 01 – 5262044 – 12 unbedingt erforderlich! (Mehr unter www.literaturhaus.at.)