Halt! Gewalt!

Von Paracelsus stammt der Hinweis, dass die Dosis das Gift ausmacht.
Auch zuviel politische Korrektheitsforderungen können vergiften.

Das neue Jahr beginnt mit der Erregung darüber, dass bei der Kölner Polizei die Verkürzung „Nafri“ für Nordafrikaner gebräuchlich sei. Auf Befragen philosophierte Rafael Behr, Professor an der Hamburger Polizeiakademie, es wäre in der Polizeikultur üblich, der Öffentlichkeit verborgene Abkürzungen zu verwenden, und das „i“ am Schluss könne für „Intensivtäter“ stehen. Eine mögliche Stigmatisierung wäre dabei nicht auszuschließen, so der Polizeiwissenschaftler. (Der Standard, 3. 1. 2017, S. 6)

Sollten wir uns jetzt nicht auch „stigmatisiert“ fühlen, wenn uns die Geschwister im Norden als „Ösis“ bezeichnen?

Oder die US-Bürger, wenn sie „Amis“ genannt werden?

Warum regt sich niemand auf, wenn von „Spontis“ und „Fundis“ oder „Gruftis“ und „Compostis“ die Rede ist (von den vielen “Schatzis“ ganz zu schweigen)?

Wo liegt die Grenze zwischen kabarettistischer Neckerei und gezielter Verachtung?

Ich denke, der Unterschied liegt zwischen dem „I“ und dem „E“:

„I“ verkürzt in der schnellen Kommunikation – auch der im Internet. Und auch wenn ich als Mitglied des „Vereins zur Verzögerung der Zeit“ immer wieder für Entschleunigung plädiere, weiß ich: Wir haben die wachsende Beschleunigung (eine Folge der elektronischen Kommunikationsmedien) und müssen mehr oder weniger mit ihr leben.

„E“ aber wertet ab – besonders wenn die vorgelagerte Silbe (höhnisch) gedehnt wird – denken wir nur an „Emanze“, „Transe“, „Lesbe“, „Tunte“ … und auch „Polente“ oder wenn jemand überhaupt als „Weh“ bezeichnet wird.

Beim „I“ gehen die Mundwinkel beinahe lächelnd zur Seite oder auch in die Höhe – beim langen „E“ hingegen werden sie hinunter gezogen. Sehr salutogen (Gesundheit fördernd) ist das nicht – nicht für die Adressaten, aber auch nicht für sich selbst.

Ich denke nach, wie man Nordafrikaner anders abkürzen könnte. Nur als „N A“? Das erinnert zu sehr an das „A“ mit dem und als das auch manche Menschen charakterisiert werden.

Oder vielleicht ein „O“ anhängen? „Nafro“ klingt wohl am besten.

Aber: Auch im Bereich der hoch angesehenen Gesundheitsberufe gibt es Codes von Kurzformen – und dort wäre es wohl angebrachter, gegen Verkürzungen wie „Psycho“ für Menschen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen zu protestieren.

Doch vielleicht geht es gar nicht um Protest gegen eine Wortneuschöpfung, sondern um Protest gegen die Polizei, Staatsgewalt und den Staat als Ganzes?