Halt! Gewalt!

Erstmals tauchte dieser Begriff in George Orwells Kultroman „1984“ (geschrieben 1946–1948, erschienen 1949) auf: Das ist eine kunstvoll die Wahrnehmung und Bewertung vernebelnde  Sprache. „Zufällige Ähnlichkeiten“ mit der Propagandasprache totalitärer Regimes waren wohlbedacht beabsichtigt – sie sollten die Leserschaft auf diese subtile Form von Gehirnwäsche aufmerksam machen.

Heute – in Zeiten der Verbreitung postfaktischer Informationen – erinnern sich viele wieder an Orwells Horrorvision, wie er sie in seiner Lebzeit (1903–1950) im Dritten Reich wie auch im Sozialismus / Stalinismus beobachtet hatte, war sie doch wiedergekehrt in der Verschleierungssprache verantwortungsscheuer Politiker.

Erinnern wir uns doch an die Abwiegelungssprache des europäischen wie später amerikanischen Militärs: Was im Ersten Weltkrieg noch „shell shock“ hieß, wurde im Zweiten Weltkrieg „combat fatigue“ genannt, im Koreakrieg „operational exhaustion“ und erst in Konfrontation mit den psychisch schwer beschädigten Vietnam-Veteranen „post traumatic stress disorder“ (PTSD) – posttraumatische Belastungsstörung (wobei Störung wiederum als taktische Verkleinerung angesehen werden kann). Die Psychiaterin und Professorin an der Harvard Medical School Judith Lewis Herman zeigte in ihrem Buch „Die Narben der Gewalt“ in der Folge auf, wie erst durch die wissenschaftliche Suche nach Behandlungsformen der „peinlichen“, weil so gar nicht dem Helden-Image entsprechenden, Symptome von Kriegsheimkehrern erkannt wurde, dass diese Traumafolgen auch bei missbrauchten und vergewaltigten Frauen bestanden. Vorher wurden sie als typisch weibliche Hysterie (von altgriechisch Hystéra, Gebärmutter) abgetan.

Neusprech ist, von Mülldeponien als „Entsorgungsparks“ zu sprechen – oder von „Pensionssicherungsreform“ statt Pensionsreform (wenn diese zu Abschlägen führt).

Es gibt aber auch ein „Altsprech“ (Wortneuschöpfung von mir): Dazu zählt, „wir“ (oder „man“) statt „ich“ zu sagen, wie schon Pierre Bourdieu formulierte: „Wann immer der Apparatschik symbolische Schläge austeilen will, wechselt er vom Ich zum Wir. Statt ,Ich meine, dass ihr Soziologen die Arbeiter untersuchen solltet‘, sagt er, ,Wir meinen, dass …‘, oder , Das gesellschaftliche Bedürfnis fordert …‘“ (in: Delegation und politischer Fetischismus, S. 46). Ich bin auf diese „Sprachfertigkeiten“ in meiner NLP-Ausbildung aufmerksam geworden, war ich doch damals (1986) noch Kommunalpolitikerin, daher fielen mir diese – nicht NLP-geschulten sondern von Vorbildern abgeschauten – Redewendungen im alltäglichen „Politsprech“ auf.

Ich meine, dass derartige Sprachanalysen in den Schulunterricht gehören. Nicht nur die Sprache der Dichter (wie auch ihrer Übersetzer) gehört zur Nachahmung empfohlen (aber wird sie das heute noch?), sondern auch zur Kritik und auch zur Weiterentwicklung. In der Arbeit an Wortwahl und Satzbau schärft man Durchblick wie auch Gestaltungskompetenz. Und das macht auch Spaß!

In der systemischen Therapie gibt es die Methode des Differenzierens: Sie versucht zu präzisieren, damit Menschen nicht aneinander vorbeireden – aber auch, damit sie einander nicht täuschen und verwirren. Aus (meinem) konkreten Anlass: Es ist inkorrekt, Backenstreich, Ohrfeige und Watsche gleichzusetzen, denn sie unterscheiden sich nach Art der Ausführung, Ort der Berührung und Intensität des ausgeübten Drucks. Oder aus meinem Unterrichtsrepertoire: Eifersucht ist nicht gleich Konkurrenz, Rivalität oder dem Gefühl der (meist tatsächlichen) Benachteiligung, aber sie kann langfristig daraus entstehen. Und das vergiftet dann nicht nur einen selbst sondern auch die Umwelt.