Wenn in einer Familie der Vater immer die zwei größten Schnitzel bekommen – „gekriegt“ – hat und plötzlich „gerecht“ mit Frau und Kindern vier gleichgroße bekommen soll, ist nachvollziehbar, dass er sich wehrt. Dieser „Reflex“ ist aus den Tagen der Einführung des partnerschaftlichen Familienrechts und der Gewaltschutzgesetze für Frauen und Kinder bekannt – und tritt leider immer noch auf. Man(n) fühlt sich „benachteiligt“, wenn man(n) „wohlerworbene Rechte“ (oder auch Privilegien) aufgeben soll. Damals, in den 1970er Jahren wurden vor allem Argumente von größerer Arbeitsbelastung der Männer (statt korrekt: in manchen Berufsanforderungen) und Familienerhalterpflichten (die heute viele Frauen tragen, nicht nur Alleinerzieherinnen) vorgebracht.

Gerechtigkeitsempfinden wie auch Belastbarkeit ist etwas Subjektives, und außerdem lassen sich Qualitäten nicht objektiv quantifizieren. Man kann sich nur dialogisch mehrheitlich auf „Verträge“ einigen – denn: Sich vertragen bedeutet, Verträge zu schließen.

Als eine, die mit 74 Jahren noch immer täglich mehr als 12 Stunden arbeitet, fühle ich mich durch die derzeitige Mediendebatte über die Einführung der Erlaubnis, die gesetzlich festgelegte 10-h-Maximalarbeitszeit in Ausnahmefällen überschreiten zu dürfen, in meiner Beruflichkeit nicht wertgeschätzt – und  nehme an, dass es vielen selbständig Erwerbstätigen ebenso geht. Von Landwirten weiß ich es – besonders wenn diese „Nebenerwerbs“-Bauern sind – weil ich viele davon in ihrem Zeitmanagement begleitet habe. Ähnliches erlebte ich jedenfalls in meiner letztvergangenen Supervisionssitzung mit Krankenpflegepersonen. Für die ist diese Arbeitszeit nämlich Regelfall.

Dennoch verstehe ich die Ängste all derjenigen, die sich vor dem Zusammenbruch ihrer Zeitorganisation fürchten. Und als Mediatorin, vor allem auch Mesoziaterin – diese Methode „Mesoziation®“ habe ich genau für solche Herausforderungen auf politischer Ebene entwickelt, war ich doch selbst 15 Jahre Mandatarin einer politischen Partei und auch Funktionärin, sowohl in der Gewerkschaft wie auch in der Wirtschaftskammer – finde ich auch, dass hier „primäre“ Gewaltprävention – und das bedeutet auch: flankierende Maßnahmen – verabsäumt wurde. Auch von den Medien. Ich verstehe, dass sich das Thema im Sinne von „only bad news are good news“ hervorragend für Polarisierungen und Polemisierungen eignet – es gibt aber auch andere Formen von Berichterstattung, nämlich konstruktiv orientierte: Was aus meiner Sicht gefordert werden müsste, ist die Einigung der Sozialpartner und ihrer „Schutzmantel-Parteien“ auf klare gesetzliche Formulierungen an Stelle von  konträren Presseaussendungen (und Hintergrundgespräche).

Dass Gesetzesvorhaben destruktiv zeitknapp zur Begutachtung ausgesendet werden, hat Tradition. Das hat noch jede Regierung „bei Bedarf“ so gehalten – und andere Institutionen auch. Ich nenne das „die dunkle Seite der Geheimdiplomatie“.

Ich weiß aus über 40 Jahren Beratung, Therapie und Trainings, dass viele Menschen sich am Arbeitsplatz wohler fühlen als privat (und daher zum Ärger ihrer Angehörigen „nicht nach Hause finden“ – wenn sie sich das leisten können). Ich weiß aber ebenso, dass die unterschiedliche Resilienz (d. h. Belastbarkeit und Erholungsbedarf) vor allem von Selbstbestimmung und respektvoller Behandlung abhängt. Fehlt eines davon, reagieren die meisten Menschen mit Resignation (Bore-out = Energieverlust) oder Aggression (Burn-out = letztes Energieaufbäumen vor dem Zusammenbruch). Dass derzeit viele auf der Gewerkschaftsseite „heiß laufen“, sehe ich als Zeichen, dass sie sich nicht respektiert fühlen. Drohender Machtverlust spielt sicherlich auch mit. Aber Überkompensation mit Machtdemonstrationen finde ich Energieverschwendung – auch wenn damit viele Funktionäre ihre unterschwelligen Aggressionen in Hoffnung auf viele Wählerstimmen lustvoll ausleben können.