Eine 41jährige hat ihre nunmehr Ex-Chefin vier Monate lang gestalkt und ohne deren Wissen gezielt unerwünschter Sex-Anmache preisgegeben. „War es unerfüllte Zuneigung oder Ärger über zurückgewiesenen Geltungsdrang?“ heißt es im KURIER, übergetitelt „Besessen von der Chefin“ (vom 05.01.2022, S. 18, auch: PressReader.com – Zeitungen aus der ganzen Welt).

Im Mittelalter hätte man wohl einen Dämon als den Schuldigen geortet und einen Exorzismus – eine Teufelsaustreibung – veranstaltet. Heute kennt man diese Prozeduren vor allem aus Horrorfilmen wie „Der Exorzist“ [Der Exorzist – Wikipedia], und die professionelle „Reinigungs-Arbeit“ übernehmen in unseren „aufgeklärten“ Zeiten nicht mehr speziell ausgebildete römisch-katholische Priester (oder doch? siehe Pandemie heizt Exorzistenboom in Italien an – Italien – derStandard.at › International), sondern naturwissenschaftlich-nüchterne Psychotherapeut:innen. Deren Beiziehung als Gutachter:innen wäre bei diesem – vertagten – Strafprozess dringlich anzuempfehlen (aber auch schon, wenn sich soziale Grenzüberschreitungen in Richtung „beharrliche Verfolgung“ [RIS – Strafgesetzbuch § 107a – Bundesrecht konsolidiert, tagesaktuelle Fassung (bka.gv.at)] zu eskalieren beginnen).

In ihrem Buch „Hysterisch oder liebeskrank?“ (Ernst Reinhardt Verlag, München 1998) beschäftigt sich die Klagenfurter Historikerin Monika Miklautz mit den gesellschaftlichen Reaktionen auf unerwünschte oder auch tabuisierte Nähebedürfnisse wie auch deren Entstehungsgeschichte; sie gibt dabei einen interessanten Überblick über einschlägige Fachliteratur, nicht nur psychoanalytischer, sondern auch sogenannter klassischer „schöner“ oder philosophischer. Dabei schreibt sie etwa: „Ein spezielles Phänomen, das das 20. Jahrhundert zwar nicht erfunden hat, das in diesem aber besonders häufig auftritt, stellt die Massenhysterie dar. Entweder von einem Politdämon à la Hitler hervorgerufen oder von einem Popstar oder Jugendidol. [ …] Die herausragende männliche Person wird Projektionsfläche aller weiblichen Sehnsüchte und Wünsche, die die Realität ihnen offensichtlich nicht erfüllen kann.“ (S. 39)

In der tiefenpsychologischen Arbeit findet sich dann oft die „grenzenlose“ Sehnsucht nach einer „grenzenlos“ spendenden Vater- oder Mutterfigur (und ebenso oft ein frühkindliches Vernachlässigungstrauma). Erweist sich das „Nachrennen“ der definierten „Spenderfigur“ heterosexuell, hat „die Gesellschaft“ oft zumindest ein Minimum an Verständnis – passt es doch ins Klischee à la „Bus Stop“ (des Films mit Marilyn Monroe: Bus Stop (Film) – Wikipedia). Erweist es sich aber als homosexuell (was die Rache-Aktion der quasi-prostitutiven Preisgabe vermuten lässt) aber meist blanke Verdammnis.

In Hinblick auf mehr Frieden in der Gesellschaft wäre sexuologische Fortbildung von Polizei und Richterschaft dringend anzuraten!

Aus diesem tiefenpsychologischen Blickwinkel – es gibt in diesem Fachbereich auch andere – gehören Stalking-Handlungen in psychosoziale Behandlung (bevorzugt bei sowohl psychoanalytisch wie auch systemisch ausgebildeten Psychotherapeut:innen) und nicht auf die Anklagebank, denn (anempfohlene) Geständnisse befriedigen zwar das Gerechtigkeits- oder Rachebedürfnis der Gesellschaft, heilen aber nicht das „Loch in der Seele“, weder der Verfolgten noch der Verfolgenden – und aller, die sich auf die eine oder andere Seite dieser Front schlagen.