profil 35/19 zeichnet sich durch einen Themenschwerpunkt zur political correctness aus, und da findet sich im Beitrag von Sven Gächter (Seite 31) die Frage: „Warum aber polarisiert das Konzept der politischen Korrektheit so ungemein?“, worauf er antwortet: „Kaum etwas ist für den Menschen so vertraut und selbstverständlich wie die Sprache. Wenn er in dieser Selbstverständlichkeit gestört oder gar erschüttert wird, aktiviert er instinktiv seine Widerstandskräfte.“, und er folgert: „Sprache bildet das Zentrum seines geistigen Immunsystems, das jede Herausforderung unvermittelt als potenzielles Infektionsrisiko wahrnimmt und entsprechend resolut bekämpft.“

Dem muss ich leider widersprechen. Es stimmt nicht – wie u. a. die freudige Übernahme sogenannter „neudeutscher“ Worte, rudimentärer Sätze, vor allem aber NLP-designter Sprachschöpfungen beweisen. (Sprachanalysen waren übrigens wesentlicher Teil meiner Arbeit als Professorin für Gesundheitskommunikation an der Donau Universität und sind es weiterhin s. die „Briefe gegen Gewalt“ 34 bis 41 auf www.haltgewalt.at.)

Was polarisiert, ist die Enttarnung der verbalen Machtstrategien und der daraus folgenden subtilen Diskriminierungen. Unbewusst neigen wir alle dazu, unsere Vorteile zu nutzen – es gibt dafür ja auch genug Vorbilder, und, wie seit gut zwanzig Jahren aus der computergestützten Hirnforschung bekannt ist, zählt dazu nicht nur, was Eltern und andere Bezugspersonen vorleben, sondern vor allem auch mediale „Modelle“, mit denen manfrau sich identifiziert, und das tut man dann, wenn man hofft, auf diese Weise erfolgreicher zu sein oder zu werden. Darauf basiert ja auch die Entwicklung geistiger Bilder im Zuge von Mentaltrainings.

Vieles, was Kindern bereits in der Grundschule suggeriert wird – beispielsweise, dass in den männlichen Sprachformen Frauen mitgemeint sind – dient der Aufrechterhaltung von Hierarchien, und je konsequenter diese Urformen sprachlicher Gehirnwäsche durchgesetzt wurden, desto mehr wehren sich die so Indoktrinierten gegen Änderungen der Sprachregeln. (Ähnliches kann man bei der Jahrzehnte überdauernden verinnerlichen NS-Propaganda beobachten.) Im Endeffekt geht es immer darum, mittels Sprache andere Menschen einzuschüchtern, zu unterwerfen, auszugrenzen und in ihren Potenzialen zu schwächen – und das entspricht der Gewaltdefinition des norwegischen Trägers des alternativen Nobelpreises Right Livelihood Award, des Mathematikers, Soziologen und Politologen Johan Galtung (*1930).

Stimme ist eine Körperwaffe – denken wir nur an das Knurren oder Brüllen von Tieren – und auch der Sprachinhalt ist ein Kampfmittel, das nicht nur verletzen sondern auch sozial morden kann. Wer sich dazu entscheidet – und das ist z. B. im gegenwärtigen Wahlkampf laufend zu beobachten – sollte so mutig bzw. fair sein,  übermäßig destruktiven verbalen Krafteinsatz zu verantworten: Er ist gesundheitsschädlich – nicht nur für die Adressaten sondern für den Sprechenden / Schreibenden selbst auch. Man macht sich dadurch zur Waffe und beschädigt sein eigenes Gesundheitspotenzial (außer man ist beruflich darstellender Künstler – und die brauchen gelegentlich psychotherapeutische Unterstützung, um ihre Seele von ihrem Rollengestus zu reinigen).

Es wäre dringend an der Zeit, im schulischen Sprachunterricht nicht nur – wenn überhaupt – dichterische Sprachformen zu entschlüsseln und zu fördern, sondern vor allem den Hintergrund und die Folgen von Sprachmissbrauch.