„Für den einen bedeutet ein barsches Wort, der harte Ton in der Stimme oder schlichtweg das Versagen einer Antwort und der nicht erwiderte Gruß eine Kränkung.“, schreibt der Vorarlberger Suchtexperte und Gerichtspsychiater Reinhard Haller in seinem Buch „Die Macht der Kränkung“ (ecowin 2015, S. 21).

Als ich Anfang dieses Jahrtausends in Linz Sexualberater:innen ausbildete, kam ein Teilnehmer, damals noch Pastoralassistent, nach eineinhalb Stunden Selbsterfahrung in der Gruppe ganz verwirrt wieder ins Plenum zurück: Ihm sei bisher nicht bewusst gewesen, wie kränkend es für Frauen sei, wenn man auf Anrufe, SMS, Mails oder Briefe nicht reagiere – er fände das total übertrieben, er müsse und könne doch auch nicht immer sogleich antworten.

Wie umfangreich sollte seiner Meinung nach so eine Antwort sein, fragte ich ihn. Wisse er nicht, zuckte er mit den Achseln. „Nachricht erhalten“, würde doch genügen, schlug ich damals vor – und das könne er doch als Entwurf in seinem Handy speichern und immer wieder verwenden, denn ohne Reaktion laute die Botschaft „Du bist mir keiner Antwort wert!“ Außerdem müsse er als künftiger Berater damit rechnen, dass Personen – nicht nur Frauen – mit dem Problem, so wenig wertschätzend behandelt zu werden, vermutlich in ihrer Kindheit mit Schweigen bestraft wurden und daher in solchen Fällen eine Retraumatisierung erlebten. Wenn sie nun aber dieses „toxische Schweigen“ durchbrechen wollten und immer wieder anriefen, liefen sie Gefahr, wegen Stalking angezeigt zu werden.

Reinhard Haller schlägt vor, in solchen Fällen „Lufthoheit“ zu übernehmen und die Bedeutung der kränkenden Person im eigenen Leben zu klären und „die Kränkung zu entmachten“ (S. 230).  Leider schreibt er nicht, dass dies auch die Kränkenden tun sollten. Dann würden diese vermutlich erkennen, wovor sie Angst haben – vor einer Invasion in ihre Privatheit etwa – aber allein diese Phantasie zeigt, dass damit Wünsche nach sozialer Nähe abgewehrt werden (sonst hätte man die Phantasie nämlich gar nicht und alles wäre einem gleichgültig).

Haller hat aber noch einen Hinweis: „Vergessen Sie jedoch beim Reagieren auf Kränkungen nicht auf ein einfaches, aber im Umgang mit unangenehmen Zeitgenossen und ernsthaften Lebenssituationen umso wirksameres Mittel, auf den Humor. Gerade die Meister der Kränkung, die Narzissten fürchten jede Form von Fröhlichkeit wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser“ (S. 235).

„Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, wusste der deutsche Dichter Otto Julius Bierbaum (1865–1910). Muss ja nicht gleich sein, ergänze ich. Hauptsache, das Lachen vergeht einem nicht auf Dauer, sondern nur für die Zeit der Ent-Täuschung – dass man nämlich die andere Person für sozial kompetent gehalten hat.