Halt! Gewalt!

Möglicherweise wird es das Unwort des Jahres 2017: „Kompromat“ – die Kurzfassung für „kompromittierendes Material“.

Aufgetaucht ist es im Zusammenhang mit der Nachricht, der sowjetische Geheimdienst besäße Filmaufnahmen von Donald Trump „in action“ bei einer Sexorgie. Als ob ihm so was schaden würde … da hat es doch schon viel Peinlicheres gegeben! Denn selbst im prüden Nordamerika imponiert es dem „kleinen Mann auf der Straße“, wenn sich seine Identifikationsfigur „was traut“, was er selbst erträumt – und wenn sich seine Ehefrau darüber aufregt, wird sie einfach als altmodisch oder verzopft abgekanzelt.

Das hat sich am Beispiel Berlusconi deutlich gezeigt.

Politiker über Details in ihrer Sexualität abkanzeln zu wollen, hat in der Neuzeit Tradition.

So beschreibt Friedrich Koch (*1936), langjähriger Professor für Erziehungswissenschaft und Sexualpädagogik an der Universität Hamburg, in seinem Buch „Sexuelle Denunziation – Die Sexualität in der politischen Auseinandersetzung“ (Syndikat 1986) ausführlich, wie die nationalsozialistische Führungsriege mit dem Vorwurf der Homosexualität (Ernst Röhm, Generaloberst Werner von Fritsch), egal ob den Tatsachen entsprechend oder nur phantasiert, oder Unsittlichkeit der Ehefrau (Kriegsminister von Blomberg) unliebsame Militärs absetzte. Deren Chefideologie Alfred Rosenberg wiederum bediente sich in seiner Schrift „Der Sumpf“ dichterischer Beiworte zu Denunziation von Kulturschaffenden wie Kurt Tucholsky, Klabund, Erich Kästner oder George Grosz, indem sie „weitgehend als Sexualtäter dargestellt“ wurden.

Nach dem Krieg wurden in Deutschland Hans-Ulrich Klose, Paul Nevermann, Willy Brandt, Helmut Kohl und Franz Josef Strauss Familienzerrüttung, Alkoholexzesse und Sexaffären nachgesagt … und heute sind wir Zeitzeugen, wie nach wie vor mit pseudomoralischer Empörung versucht wird, Pseudopolitik zu machen – denn was hilft das bei der Bewältigung der wirklichen Probleme wie steigender Arbeitslosigkeit, steigendem Ausländerzuzug und steigender Denkunwilligkeit?

Ja, „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten“ (Johann Wolfgang von Goethe, Götz von Berlichingen). Und wenn es nur der Schatten banaler Bedeutungslosigkeit jenseits der öffentlichen Funktion ist, triviale Sexspielchen (ohne die dadurch entstehende Erpressbarkeit zu bedenken) mitgemeint. Auch Udo Proksch hat meinen Informationen nach heimlich mitgefilmt, wenn sich Spitzenpolitiker im Club 45 „amüsiert“ haben. Geholfen hat es ihm letztlich nichts.

Manche Journalisten wollen sich gerne als Aufdecker profilieren. In den Verliesen der Hochfinanz (Angleichung an „Die Verliese des Vatikan“ von Roger Peyrefitte) zu recherchieren ist weniger einfach und auflagensteigernd, als durchs Schlüsselloch ins Schlafzimmer (von wem auch immer) zu spähen. Wer das als Erwachsener noch immer nicht lassen kann oder sogar einen Beruf draus macht, sollte darüber nachsinnen, ob es dazu „Urszenen“ in der Kindheit gab, in der die Eltern empört, lachend oder auch spottend die Auskunft verweigerten, was sie hinter verschlossenen Türen trieben … genau dann bleibt oft eine unbefriedigte Neu-Gier nach allem, was irgendwie diesen Erfahrungen („Ich will’s aber wissen!“ und auf’s Publikum projiziert: „Meine Leserschaft will’s aber wissen!“) ähnelt.

Ich habe im Laufe meines Lebens in den vielen Situationen, in denen ich verleumdet wurde, gelernt, nur mehr die Absicht der „Entblößer“ zu thematisieren und meinen Intimbereich zu verteidigen. Ich sage dann: „Das ist mein Intimbereich und bitte respektieren Sie den!“ Intimbereich  heißt ja so, weil er Intimstes betrifft – und der geht, soweit nicht das Strafgesetzbuch verletzt wird, niemand etwas an außer Anwesende, und die können und sollen – bitte sofort – protestieren, wenn sie etwas nicht in Ordnung finden und nicht hinterher mauscheln.