Ein neues Wort ist entstanden. (Achtung Triggerwarnung: Es folgt Satire!)
Das neue Wort entstammt der Familie der Kleber, Vater: der Sesselkleber (mag nicht teilen, daher auch niemand nachrücken oder gar überholen lassen), Mutter: die falsche-Wimpern-Kleberin (will mehr Aufmerksamkeit, bevorzugt filmisch festgehalten), Großeltern (in der NS-Zeit sozialisiert, daher nicht gegendert): die Watschenkleber mit „Ich kleb dir gleich eine!“
Es bleibt der geschätzten Leserschaft benommen, die jeweiligen Gene zu orten – ich erkenne alle in den derzeitigen Straßenklebereien (vgl. „Kleben und nicht kleben lassen“, Salzburger Nachrichten, 10.01.2023, S. 3).
Meine Trigger dazu sind meine Erinnerungen an die frühen 1970er Jahre, als wir – das „Aktionskomitee zur Abschaffung des §144 Strafgesetz“, initiiert von der späteren Generalsekretärin der Sozialistischen Internationale und Abgeordneten in Bundesrat wie auch Nationalrat, Irmtraut, damals Gössler (geb. Marsch), heute Karlsson (und erfolgreiche Krimiautorin!) und der späteren Universitätsprofessorin Eva Kreisky (geb. Zgraja) – sowohl zuerst in der Partei, dann in der Regierung durchsetzen mussten, dass die Strafdrohung aufgehoben wurde, die vielfache Mütter, die kein viertes, fünftes oder weiteres Kind in die Welt setzen wollten, wegen Schwangerschaftsabbruch ins Gefängnis brachte (sofern sie nicht auf versteckten Küchentischen verbluteten).
Auch wir gingen auf die Straße – auf viele Straßen, auf Märkte, vor die Tagungshallen der großen Politik – aber: Wir studierten kaum bekannte Fachliteratur (nicht nur von Juristen, sondern auch z. B. den hl. Thomas von Aquin, der die „Beseelung“ der „Leibesfrucht“ mit der 12. Lebenswoche angab – für männliche, bei weiblichen erst ab der 14.!) um mit Gegnern zu debattieren, wir überreichten Petitionen, wir sammelten Unterschriften, und wir konfrontierten uns mit den Entscheidungsträgern – denn genau auf die kommt es an.
Damals gab es für „Aktivist:innen“ kaum Zugang zu audiovisuellen Medien, und sogenannte soziale gab es auch noch lange nicht. Es gab auch keine Computer und Mobiltelefone. Telefonieren konnten Normalbürger nur von Vierteltelefonen, bei denen man warten musste, bis einer der vier aufgelegt hatte – andere konnte man sich kaum leisten … es war alles sehr mühsam, aber dafür erfolgreich.
Wir glaubten nämlich nicht, dass wir Unterstützung in der Bevölkerung wie bei denen, die letztlich Gesetze beschließen, erreichen würden, wenn wir sie bekämpfen, bestenfalls nur nerven.
Wir setzten nicht auf Kleben (nicht einmal Plakate), sondern auf Reden.
Reden mit den Menschen auf der Straße, mit Fachleuten, auch mit Gegner:innen (viele davon wurden später Partnerinnen, weil sie erkannten, dass es um Strafvermeidung für verzweifelte Frauen ging, nicht um „Förderung unanständiger Lüste“ – so deren Phantasien).
Ich denke: Einmal kleben, einmal schütten, um Aufmerksamkeit zu erregen, muss reichen. Beim zweiten Mal beginnt bereits Belästigung und „Hetz“ (im Doppelsinn des Wortes) – und nachfolgend steigert man sich in Kleberausch und Kriegsstimmung, aber damit erreicht die kleine aktive Minderheit nur Widerstand bei der großen passiven Menschenzahl, die sich brav und träge an Gesetze hält, aber dabei auch bereit wäre, fürs Mittun an der vorgesehenen Form für Gesetzesinitiativen. Deswegen bin ich für Unterschriften sammeln „auf der Straße“. Und davon Bilder platzieren. Wie die „Omas gegen Rechts“.
So unterstützenswert die Anliegen auch sind (zumindest für mich, ich übe jetzt schon Tempo 100 auf Autobahnen und lasse mich gelassen lichtbehupen – auch ein neues Wort, diesmal von mir), und so verständlich die Aggression ist, die sich dahinter zeigt – zum Ankurbeln der Gesetzesmaschinerie braucht es Vernunft und Motivation zum gegenseitigen Respekt; halt erwachsenes Verhalten und nicht kindlichen Trotz.