In der Auflistung der Vorschläge zum gendergerechten Schreiben für die Kärntner Amtsstuben findet sich auch: „Bemuttern – fürsorglich sein, umsorgen“ (s. „Es soll nicht mehr ,bemuttert‘ werden“, Der Standard, 16.12.2022, S. 7).

Für mich war dieser Vorschlag gestern nur ein Beispiel unter all den übereifrigen unbedachten Fleißaufgaben, sich einem „woken“ Trend anzuschließen – bei mir erlebte ich keine emotionale Reaktion. Heute schrieben mir aber Leserinnen meines gestrigen Briefes z. B. „Auch genderpeople fühlen sich als Mutter und wollen gerne als solche gesehen werden“ oder „Darf man, soll man nicht emotional sein, das ist hier die Frage?“ oder „Ich bin für Einbeziehung aller, möchte aber Mutter bleiben dürfen und mich als solche ,auch‘ identifizieren dürfen!“

Mich erinnert dies an den psychoanalytischen Begriff des „Gebärneids der Männer“ als konträres Symptom zum sogenannten „Penisneid“ von Frauen (auch nicht aller!). Ich bin meinen Feedbackgeberinnen von heute aber sehr dankbar für ihre Anmerkungen – sie geben mir Gelegenheit zur Verbreitung einer Information aus der Wissenschaftspublizistik des Jahres 1978 (!) – auf Deutsch 1985, die also längst bekannt sein sollte.

Damals erklärte die Soziologieprofessorin der Universität Berkeley in Kalifornien, Nancy Chodorow (* 1944) in ihrem Buch „Das Erbe der Mütter“, dass „die Mütterlichkeit durch soziale, strukturelle Merkmale der Gesellschaft ausgelöst und durch psychologische Prozesse reproduziert wird. Sie hat weder biologische Ursachen, noch ist sie das Produkt eines bewussten Rollentrainings.“ Sie betont, wie sich die Beziehung der Mutter zu ihrem jeweiligen Kind im Elternverhalten dieses Kindes zu eigenen Kindern reproduziert (S. 15) – und sie benennt „muttern“ als soziale Tätigkeit, die ebenso von einem Mann (oder wem auch immer, z.B. mehreren, ergänze ich) ausgeübt werden kann (S. 20 ff.). Sie schreibt: „Das Bedürfnis des Kindes nach einer Mutter ist absolut, das der Mutter nach dem Kind aber nur relativ.“ (S. 35) und verweist unter anderem auch auf die Verhaltensforschung (S. 42) – allerdings wird es vielen Frauen gesellschaftlich übelgenommen, wenn sie diesem „Madonna mit Kind“-Bild nicht entsprechen.

Da drängt sich die Vermutung auf, dass ein geheimes (politisches) Ziel dahinter stecken könnte, die Tätigkeit des „mutterns“ denjenigen abzusprechen, die biologisch nicht eindeutig weiblich geboren (bzw. aufgezogen?) wurden … wie wenn es nicht genügen würde, einfach nur dafür zu sorgen, dass es Lebewesen gibt, die das Bedürfnis des Kindes nach Fürsorge erfüllen? (Können bekanntlich sogar manche Tiere!)

Da lobe ich mir (wieder einmal) die psychotherapeutische Schule der Transaktionsanalyse, die den Begriff der Neubeelterung eingeführt hat und damit die historisch erlebte Beelterung als kritisierbar und verbesserbar definiert: Wir alle können uns selbst neu „beeltern“ – und damit auch von „Erziehungsberechtigten“ ablösen und anderen, vor allem aber auch uns selbst!, anvertrauen (vgl. Gudrun Hennig / Georg Pelz, Transaktionsanalyse, S. 276 ff.).

Wie ich schon im gestrigen „Brief gegen Gewalt“ Nr. 98/22 schrieb: Es gilt, den Sinn von „Altworten“ und „Neuwortschöpfungen“ zu erfassen, daher braucht es dazu tiefer gehendes Nachdenken und Gedankenaustausch mit Andersdenkenden, wenn wir eine Gesellschaft werden wollen, die auf Feindseligkeiten (Betonung auf „selig“!) gegenüber all denen verzichten will, die anders sind als wir. Wenn!

Und bitte mehr Achtung vor wissenschaftlicher Arbeit. Sie liefert mögliche Bausteine dazu. (Ob man sie dann verwendet, ist eine andere Frage – aber, wie auch immer, wer entscheidet, soll sich auch dafür im Sinne von Transparenz argumentativ verantworten.)