Das Wort Ausgrenzung hat einen verpönten Beigeschmack – es ist zu oft politisch missbraucht worden: Einerseits nütz(t)en es die sogenannten Rechtspopulisten, um sich damit zu beklagen, dass sie nicht in Entscheidungsgremien zur Mitgestaltung eingeladen worden waren und auch um Schuldgefühle zu ihren Gunsten zu erregen; andererseits wird es zum Beweis der Notwendigkeit von Selbstschutz vor Eindringlingen herangezogen.
Überprüft man die jeweilig beabsichtigte Botschaft, zeigt sich, dass es an der Kürze dieses Schlag-Wortes liegt, weshalb seine Verwendung so oft einen Aufschrei der Empörung auslöst – und an der Person, die es gebraucht. Ist diese nämlich sozial hoch anerkannt – oder verfügt über Funktionen oder wenigstens Titel, die Autorität vermuten lassen – werden deren Grenzziehungsversuche nicht mehr kritisch beobachtet.
So lese ich am 7. April in ORF online und tags darauf im Standard, dass „Ökonomen rund um den Chef des Makroökonomie-Instituts der Wirtschaftsuni Wien „Jesus Crespo Cuaresma“ mit einem Protestbrief an das Bildungsministerium verlangen, Christian Felber, einer der Masterminds von Attac Österreich – despektierlich als „Aktivist“ abgewertet – aus einem Lehrbuch für Gymnasien zu streichen. Dass der innovative Vordenker, Publizist und Lehrbeauftragte an der Wirtschaftsuni in einer Reihe mit „Größen“ wie John Maynard Keynes, Karl Marx, Milton Friedman und Friedrich August von Hayek genannt werde, erzürnt die Angestellten der Universität – vor allem, weil Felber „über keine ökonomische Ausbildung“ verfüge und „keine wissenschaftlichen Publikationen“ aufweise. Das stelle einen „Affront“ für alle (österreichischen) Wirtschaftsforscher dar.“
Ich kann gut verstehen, dass man enttäuscht und verärgert ist, wenn man sich selbst von Jugend an über die Hürden geplagt hat, die auf dem Weg zum akademischen Olymp aufgebaut sind. Psychoanalytisch gedeutet könnte man sagen: Die „Väter“ versuchen auf diese Weise dem Vatermord durch die nachdrängenden Söhne (und nun auch Töchter) zu entgehen und auch die „älteren Geschwister“ achten sorgsam, dass keine Außenseiter ihren Clan aufbrechen. Witzig finde ich, dass die Protestbriefschreiber auch Karl Marx zitieren – immerhin war er als Philosoph auch nicht ökonomisch ausgebildet, kein Wissenschaftler sondern politischer Journalist – könnte daher also auch als „Aktivist“ bezeichnet werden, wie der studierte Psychologe und mehrfache Buchautor Felber. Wir alle, die sich freiberuflich für bestimmte Werte engagieren, sind Aktivist_innen – und das ist auch nötig: In Dinosaurier-Institutionen – zu denen auch etablierte Universitäten zählen – ersticken Anpassungszwänge und die Angst vor Nichtverlängerung der Arbeitsverträge revolutionäres Gedankengut – außer man findet eine Elternfigur, die fair und selbstsicher genug ist, sich vor Ungewohntem nicht gefährdet zu fühlen und mutig genug, in einen ernsthaften Diskurs und vielleicht sogar an die Seite von Außenseitern zu treten …
In den 1970er Jahren haben wir – die 1.400 Expert_innen, die 1978 das Parteiprogramm der SPÖ konzipiert haben – erfolgreich dafür gekämpft, dass auch irreguläre Bildungswege anerkannt werden. Der renommierte Gestalttherapeut Richard Picker (1933–2015) und ich haben in den 1980er Jahren ebenfalls erfolgreich dafür gekämpft, dass auch begabte Personen, die keinen „Quellenberuf“ aufweisen können, zu Psychotherapieausbildungen zugelassen werden. Dass sich „Platzhirsche“ dadurch bedroht fühlen und mit Hilfe beanspruchter Definitionsmacht Grenzen formulieren, ist zwar tiefenpsychologisch verständlich aber kleinlich und ent-reichert die in Österreich ohnedies „flache“ Wissenschaftslandschaft.
Denn: Mit Keynes, Friedman, Marx und Hayek werden österreichischen AHS-Schüler nicht (mehr) diskutieren können – die kann man nachlesen – mit Christian Felber schon.