Ich mag Neologismen – Wort-Neuschöpfungen. Salutogenese – das Gegenteil von Pathogenese, also der Entstehung von Krankheiten – umfasst beispielsweise alles, was Gesundheit aufbaut und fördert. Mir gefällt die Kreativität, aber auch der Mut, dem allgemeinen Wortschatz Sprachschöpfungen beizufügen, um Lücken zu füllen. So habe ich einmal in einem Artikel geschrieben, das Gefühl, aus dem heraus sich das Rumpelstilzchen im Märchen zerreißt, habe keinen Namen – es sei nämlich nicht (nur) Wut, sondern eine Mischung aus Enttäuschung, Verletztheit, weil es ausgetrickst wurde und VerZWEIflung – deswegen reiße es sich ja entzwei – und ich schrieb: Hätte es einen Namen, würden den viele Frauen für sich reklamieren, nämlich alle, die ihren Ehemann während Studium oder Karriere unterstützt hätten und von ihm nach Erreichen seiner Ziele verlassen wurden (Zitat aus vielen Beratungsgesprächen: „Sie passt halt jetzt nicht mehr zu mir!“)

Einen Neologismus habe ich in – Pflichtbuch für alle Feministinnen! – „Befreiung der Frau – Texte zur Geschichte eines weltweiten Kampfes“, herausgegeben von Julia Harnoncourt (promedia 2021), entdeckt: „globale Zuneigungsketten“. Damit charakterisiert das madrilenische Frauenkollektiv Precarias a la Deriva die „globalisierte Pflegearbeit“, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird. In diesem Text heißt es: „Während viele westliche Frauen zu dem männlichen Modell der Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung neigen […], wird die Vorstellung der Frau als Fürsorgerin und Sexualobjekt wieder im Körper von Frauen aus dem Süden dargeboten. Damit wird diese Vorstellung, genau in dem Moment, in dem sie in den Gesellschaften des Nordens ihren Abtritt machte, in unseren Häusern, auf unseren Straßen und unseren Fensehbildschirmen wieder eingeführt.“ Und dadurch entstehe durch die Qualifizierung der Pflege ein paradoxer Effekt in Bezug auf ihre Wertschätzung: „Einerseits kann eine Ausweitung der Zuneigungs- und Pflegeindustrie bemerkt werden, die von Eheagenturen bis zu Chats und Partylines und von technischen Entspannungskursen bis zu Selbsthilfekolumnen […] reicht. Aber diese Ausweitung impliziert auch die ökonomische Logik des Mangels: […] Die Pflege wird innerhalb des Marktes zu einem knappen, segmentierten Gut, zu dem nur derjenige Zugriff hat, der zahlen kann. Andererseits erleben wir eine starke Hierarchisierung der unterschiedlichen Dienstleistungen, sodass die Betreuung, die sich an autonome Personen richtet […], hochgradig wertgeschätzt wird, während die Betreuung von abhängigen Personen (Kinder, alte und kranke Menschen usw.) immer noch Unsichtbarkeit und Abwertung erfährt, wodurch (in Kombination mit anderen Elementen, wie restriktive Einwanderungspolitiken oder skandalöse Arbeitsgesetzgebung der Heimarbeit) der niedrige Preis der Arbeitskraft bei gleichzeitig intensiver Nachfrage gesichert wird.“ (S. 66 f.)

Die „Ketten“ ergeben sich dadurch, dass Mütter in den Norden zur Arbeit migrieren, aber gleichzeitig daheim Leitungsaufgaben in der Familie leisten müssten, im Süden hingegen andere Frauen unbezahlt deren Fürsorgepflichten übernähmen. Wertschätzung zeichne sich nur ab, „wenn ihre Arbeit sich in Cash übersetzt und nicht während des Zuneigungsprozesses.“ (S. 69)

Und, ergänze ich, auch das ist nach Standort relativ – und ein Beispiel für finanzielle Gewalt.