Am 10. September ist Weltsuizidpräventionstag und Anlass, dem Thema abseits der Berichterstattung über aktuelle Fälle dieser Form, aus dem Leben zu scheiden, Raum zu geben.

Dabei wird immer einerseits der „Werther-Effekt“ zitiert, so genannt, weil nach dem Erscheinen von Johann Wolfgang Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774), die der Titelheld durch Suizid beendet, die Anzahl von Nachahmungstaten zunahm.  Andererseits wird dies neuerdings durch Hinweis auf den gegenteiligen „Papageno-Effekt“ ergänzt, der sich auf die Szene in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ bezieht, in der sich der Vogelfänger Papageno das Leben nehmen will, weil er glaubt, seine künftige Frau Papagena ewiglich verloren zu haben, aber die „Drei Knaben“ erscheinen und erinnern ihn an das wundersame Glockenspiel, auf dessen Klang hin Papagena wieder erscheint. Mit dem Schlagwort vom Papageno-Effekt soll darauf hingewiesen werden, dass man Suizidgedanken mit Hilfe anderer Menschen überwinden kann.

So einfach wie in Mozarts Oper ist das aber nicht. Ich habe in meinem Buch „Komme was da wolle … Krisenkompetenz. Ein Beitrag zu Gewaltprävention, Resilienz und Salutogenese“ (edition roesner 2020, Seite 87 ff.) dieses Thema auch behandelt, und weil die Propagandisten des Papageno-Effekts anregen, Personen, die sich letztlich von dieser „Erlösungshoffnung“ befreien konnten, mögen davon Zeugnis ablegen, auch eine meiner eigenen Erfahrungen beschrieben.

Es liegt schon auch am „Wording“ – der Wortwahl – im echten Gefühl der Selbstbetroffenheit, ob das Herz der angesprochenen Person wieder weich und weit werden kann, nachdem es sich verhärtet und verengt hat, wie es geschieht, wenn man den Schmerz abwehren will, weil irgendetwas unerträglich geworden ist. Das ist ja genau die Erziehungsfolge, wenn immer wieder befohlen wird: „Nimm Dich zusammen!“

Schmerz erträgt man, wenn man dorthinein atmet, wo man das Wehtun – die Wehen – spürt. Das ist ja auch das Geheimnis der „Sanften Geburt“: Wer weiß, dass sich der Körper weiten will – ich nenne das immer den „seelischen Spagat“, wenn es das Herz und die Lunge betrifft – um eben die „Bandbreite“ des Ertragenkönnens zu vergrößern, wird es leichter einüben können, d. h. ins Nervengeflecht einspeichern, als jemand, der oder die im spontanen Zusammenziehen des Sich-schützen-Wollens diese innere Region verkleinern will. (In dem Zusammenhang: Als ich als kleines Mädchen Ballett lernte, hat uns die Lehrerin, eine ehemalige Tänzerin der Wiener Staatsoper, nicht gesagt, dass wir beim Spagat-üben einfach nur in die Oberschenkeladduktoren (innere Muskulatur im „Schritt“) hineinatmen sollten. Hoffentlich geschieht das wenigstens heute!)

Was nämlich den eigentlich Papageno-Effekt darstellt, ist weder das Erscheinen der „Drei Knaben“ noch die Musik des Glockenspiels und auch nicht das folgende Auftauchen Papagenas – es ist die Herzweitung der Liebe, die ihr Anblick automatisch beim verliebten Papageno hervorruft.

Und genau das gehört erklärt: Wer zu wenig „Liebesenergie“ empfängt – und dazu zählt auch die Liebesenergie, wenn man Erfolge erlebt (egal bei welcher Beziehung, Tätigkeit, Wahrnehmung – wir sprechen dann von Selbstliebe, und die wird auch oft von klein auf verboten, etwa mit „Komm dir nur nicht gut vor!“) – sondern im Gegenteil ihrer beraubt wird (durch Mobbing, Stalking, Hassworte oder vor allem auch Ignoriertwerden), kann irgendwann so „ausgelaugt“ sein, dass er oder sie keine Kraft mehr hat, solch ein Leben zu ertragen. Da hilft es zu wissen, wie man sich selbst in den Zustand des Liebens bringt – und: Dass man immer lieben kann, denn das ist dann Selbstbestimmung. (Siehe auch mein Buch „Lieben!“, Kremayr & Scheriau 2018.)

Aber das wissen nur diejenigen, die es bei sich selbst erkannt haben – denn wenn sie wahrhaftig davon erzählen (wollen), müssen sie die seinerzeitigen Gefühle wieder hochkommen lassen, sonst sind sie nicht authentisch – und dann gehen die meisten anderen auf Distanz, weil sie die Gefühlsansteckung fürchten.