Bei Vergewaltigungen wird von den Tätern üblicherweise behauptet, die Frau hätte freiwillig zugestimmt. Diese Phantasie wird durch Filmszenen gefördert, in der die Frau nach vergeblichem Wehren in resignative Passivität verfällt – oder sich überhaupt von Beginn des Übergriffs an nicht wehrt.

Freezing heißt diese Schockstarre in der Fachsprache – und genau deshalb ist Selbstverteidigungstraining für Frauen so wichtig, damit der Körper automatisch, spontan und ohne kognitives Bewusstsein effiziente Abwehrhandlungen setzt.

In zahlreichen Untersuchungen wurde festgestellt, dass im Gehirn die aktionsauslösenden Nervenbereiche bereits aktiv sind, bevor man noch entschieden hat, wie man handeln will – vorausgesetzt, man besitzt die jeweils entsprechende Neurosignatur. Was man noch nie gemacht und auch noch nie beobachtet hat, „kann“ man noch nicht. Genau deswegen ist ja so wichtig, dass in Filmen und Theaterstücken Frauen in aktivem Bewältigen belastender bzw. bedrohlicher Situationen gezeigt werden und nicht immer nur als Opfer (außer wenn es sich um eine wohltrainierte Kommissarin handelt – denn das sind die wenigsten Alltagsfrauen).

Freier Wille erwächst erst dann, wenn man genug Zeit hat, zwischen dem emotionalen Impuls und der darauf folgenden Verwirklichung in einem bewussten Handeln eine Entscheidung zu treffen. Das kann man lernen und üben und damit diese notwendige Zeitlücke minimalisieren. Ich sehe darin das, was der Volksmund „einen langen Atem haben“ nennt – denn bei all denen, die das können, kann man beobachten, wie sie im Akutfall einmal tief durchatmen. Die „kleinen grauen Zellen“ mit mehr Sauerstoff versorgen.

In meiner Arbeit mit traumatisierten Menschen habe ich immer wieder feststellen können, dass diejenigen, die ihre Katastrophensituation halbwegs unbeschädigt überlebt haben, blitzschnell diese Abwägung vorgenommen und sich dafür entschieden hatten, was ihrer Überzeugung nach ihr Leben rettet. Wir sollten daher auf Besserwisserei verzichten und stattdessen die eigene Selbstbestimmung hochachten – auch wenn sie nicht in der Sprache des Neinsagens verdeutlicht wird. Denn, wie wir vermutlich alle aus eigener Erfahrung (zumindest aus der Schulzeit) wissen:  In Krisensituationen „verschlägt es einem die Sprache“.