Halt! Gewalt!

Beim heutigen Europa Forum Wachau im Stift Göttweig wurde darüber diskutiert, ob und wie „Regionen“ in Krisensituationen bei Krisenbewältigungen hilfreich sein könnten, und flugs entstand eine Diskussion darüber, ob man „Länder“ wie in Österreich als „dritte Ebene der Verwaltung“ brauche oder vielleicht doch mit nur zwei – Kommunalverwaltungen und einer einzigen Zentralverwaltung – auskommen könne. Nur Österreich, Deutschland und Belgien hätten „Bundesländer“ – alle anderen EU-Staaten nicht …

Das ist ein klarer „linearer“ Blickwinkel, den kenne ich als Juristin zur Genüge: Er fördert klare Zuständigkeiten, Weisungs- und Sanktionsrechte und damit Hierarchien. Als u. a. auch systemisch ausgebildete Psychoanalytikerin bin ich hingegen auch einen „komplexen“ d. h. mehrperspektivischen Blickwinkel gewohnt: Damit denkt man nicht „von A zu B“ und umgekehrt, sondern schaut gleichsam von oben auf die Gegebenheiten wie auf ein Tortendiagramm und analysiert die einzelnen Segmente danach, welche Interessenslagen in ihnen zum Ausdruck kommen und wie sich gegenseitig beeinflussen.

Dabei stellt sich die Frage, wer Interesse daran hat, dass nicht komplex sondern linear gedacht wird …

Und die Antwort lautet: Die Person oder Gruppe, die ungleichgewichtige wie z. B. hierarchische Macht ausüben will – z. B. mit Mehrheitsquoten (oder anderen Zahlen wie Messungen, Limits etc.). Andernfalls würde sich alternativ eine sternförmig egalitäre Entscheidungsstruktur aufdrängen – wie im altgermanischen Thing oder in der Großgruppenmediation.

Es sind aber immer noch Menschen, die Strukturentscheidungen treffen – und wie diese aussehen, können wir täglich den Medien entnehmen (die dann noch mit übertreibenden Kampfworten und -sätzen aus unterschiedlichen Positionen „Streit“ und „Duell“ konstruieren). Nun ist aber alles, was wir „praktizieren“, erlernt – d. h. neuronal verankert. Wo wir keine Wahrnehmungsneurone entwickelt haben, findet Wahrnehmung nur rudimentär und ungedeutet statt, und wo wir keine Handlungsnervenzellen erworben haben, erweist sich unsere spezifische Problemlösungskompetenz unterentwickelt. Lernen braucht Vorbilder, Übung und Erfolgserlebnisse. In der Politik lernt man üblicherweise „on the job“ nur das, was die Vorgeneration vorlebt – und noch dazu im „eigenen System“ (Kommune, Kammer, Ressort etc.), und verhandelt dann wie gewohnt wieder linear – bestens zu beobachten am Widerstand gegen Gemeindezusammenlegungen. Deswegen habe ich in meiner Zeit als Universitätsprofessorin an der Donau Universität das Masterstudium Präventionsmanagement entwickelt – weil ich neben meinen einschlägigen Berufsqualifikationen auch die praktische Erfahrung aus 15 Jahren Mandatarschaft in der Kommunalpolitik hatte und daher diese Bildungslücken kannte und schließen wollte.

Gibt es die zusätzliche dritte Ebene von Bundesländern, muss man notgedrungen komplexer denken, weil zusätzliche Konfliktpartner und -ebenen die Notwendigkeit des neuen Denkstils verdeutlichen, den man braucht, wenn man die „unendliche Geschichten“ des linearen Denkens bzw. schnelle Gewaltlösungen vermeiden will. In der Wiener Psychoanalytischen Sozialtherapie nennen wir diese Methode „verrücken“.

Nach dem norwegischen Friedensforscher Johan Galtung zeigt sich strukturelle Gewalt darin, dass eine Realität geschaffen wird, die Potenziale behindert oder schädigt. Vorenthalten von Wissen zählt ebenso dazu wie ein zunehmend einseitig fragmentiertes Bildungsangebot im schulischen Bereich (Universitäten mitgemeint).

Die Struktur von Bundesländern wahrt nicht nur Raum und Zeit für mehr Selbstbestimmung und fördert damit regionale Identität, sie wäre „bottom up“ auch das ideale Lernfeld zum Einüben einer eirenischen Europagesinnung.