Im Letzten Brief gegen Gewalt (Nr. 56) zitierte ich sieben Kommunikations-Merkmale, an denen man laut Gavin de Becker das Gewaltpotenzial anderer Menschen (aber auch bei sich selbst) erkennen kann. Ich brachte dabei einige Beispiele von Gewaltausbrüchen, nachdem den TäterInnen Grenzen gesetzt worden waren. Nicht alle wurden überlebt.

Diesmal möchte ich ein anderes Merkmal – „erzwungene Gemeinsamkeit“ – verdeutlichen. Gavin de Becker  nennt dabei den – unpassenden – Gebrauch des Wortes „wir“ zur Herstellung von Vertrauen so à la „Wir sitzen doch im selben Boot“. Schlüsselsätze dazu, die ich in meiner Praxis immer wieder berichtet bekommen habe, lauten „Du magst das doch auch!“ (z. B. bei sexuellen Grenzüberschreitungen) oder „Wir machen das alle so!“ oder „Wir waren doch immer so gute Freunde!“ (z. B. wenn jemand etwas nicht mitteilen will)  und letztlich sogar „Du würdest doch das Gleiche für mich tun!“ (z. B. wenn es um Geld geht).

Gavin de Becker empfiehlt als einfachste Abwehrmaßnahme eine entgegengesetzte Selbstpositionierung. In seinem Beispiel geht es um aufgedrängte Hilfe (Heimtragen von Einkaufssäcken, auf das dann ein Überfall erfolgt) und sein empfohlener Satz lautet „Ich habe Sie nicht um Hilfe gebeten, und ich möchte sie auch nicht!“ Und auch wenn das den Anschein – nur den Anschein! – grober Unhöflichkeit erwecken kann: Der Satz ist klar und er ist auch korrekt.

In meinen Beispielen könnten solche Abwehrsätze lauten: „Irrtum – ich mag das nicht, und hör bitte auf!“ Zweite Stufe (denn Gewalttäter lachen oder murren und tun weiter, Nicht-Gewalttäter hören sofort auf!)  schärfer: „Ich habe gesagt, hör auf!“ und wenn der oder die andere noch immer nicht „auf-hört“, dann Kommunikationsabbruch (und wenn möglich Situation verlassen). Und bei Berufung auf „alle“: „Ich aber nicht!“

Beim Appell an ewige Freundschaft kann man freundlich aufklären: „Ich sehe das für heute nicht mehr so und möchte auch die alten Zeiten nicht mehr wiederbeleben!“ Wenn dann die Frage „Warum?“ kommt, ist das wiederum eine Falle: Die andere Person soll sich rechtfertigen müssen – aber niemand Erwachsener ist einem anderen eine Begründung schuldig, außer es besteht ein (z. B. Arbeits-) Vertrag oder Aussagepflicht bei Gericht. Als ich 1970 als naive junge Frau in den Vorstand einer Partei-Vorfeldorganisation gewählt wurde, bedrängte mich deren Sekretär mit der listigen Behauptung, ich müsse nun entweder mit dem Vorsitzenden oder mit ihm „den Beischlaf pflegen“ (er formulierte dies weniger elegant) und auf meine verblüffte Frage „Warum?“ antwortete er frech: „Weil ich es mir wünsche!“ Das als biographische Anmerkung zu #MeToo.  (Da der Mann keine Ruhe gab, sprach ihn mein Ehemann auf meine Bitte hin darauf an – dann war Ruhe. Jahre später rächte sich der Funktionär durch eine andere Art von Demütigung.)

Bei meinem dritten Beispiel könnte man mit „So was habe ich noch nie getan und werde es auch nicht tun!“ antworten und auf die „Warum“-Frage cool mit „Weil ich so was nicht tue!“  antworten.